piwik no script img

Kontaktläden weiter unter Druck

■ Von der Stimmung im Viertel und Bemühungen zum Umgang mit dem Elend

Die Neugier von AnwohnerInnen und Passanten hält sich in Grenzen, als innerhalb weniger Minuten schon der zweite Rettungswagen mit Tatütata in die Seitenstraße vom Ostertorsteinweg einbiegt: Nur aus einem Fenster schauen Nachbarn herunter, während sich Ärzte und Sanitäter bemühen, den leblos vor einem Hauseingang liegenden Menschen am Leben zu erhalten.

„Der junkt schon seit seinem 12 Lebensjahr“, erzählt einer der Junkies, die sich als einzige um den Notarzteinsatz kümmern und vom Eck herbeigelaufen kommen. Er sei mit „dem da“ zur Schule gegangen, berichtet er weiter. Und er weiß auch: daß der Zusammengebrochene gerade aus der Haft entlassen ist, zurück in Szene und Obdachlosigkeit. „Der hat sich 'ne Überdosis gesetzt“, vermutet er. Ein anderer Junkie von der Szene am Eck hatte die Ärzte gerufen. Bis er zurückkam, waren dem hilflos am Boden Liegenden schon die Western- Stiefel geklaut, waren ihm Hemd und Hose aufgerissen und durchsucht worden. Zwei Straßen weiter wird zur selben Zeit ein junger Schwarzafrikaner von Zivilbeamten festgenommen und der Streife übergeben. Theoretisch hätte er sein Dealer sein können. Auch dieser Vorfall wird von den Passanten kaum wahrgenommen: Alltag im Viertel. Eine ganz zufällige Momentaufnahme gestern Mittag um 12.

Unterdessen werden im Kontaktladen des AK-Drogen in der Weberstraße wie jeden Vormittag Spritzen der Fixer getauscht. In der drobs, der staatlichen Drogenberatungsstelle in der Bauernstraße, beginnt die Ausgabe des Mittagessens. Junkies gucken vorbei, ob heute wieder das Schild draußen hängt, daß „wegen Personalmangel“ das Cafe nach der Essensausgabe geschlossen bleibt. Noch im Februar hatten beide Anlauf-und Beratungsstellen angesichts der rapide steigenden Klientenzahlen und auffällig zunehmender Aggressivität auf der Szene resignierend mit ihrer Schließung gedroht. Der AK-Drogen ging vorübergehend in Streik: Seither werden nur noch 10 bis 20 Leute auf einmal in den Laden gelassen, „um eine erträgliche Atmosphäre schaffen, in der Beratung auch möglich ist“, erklärt AK-Mitarbeiter Klaus Hammer.

In der drobs wurden aus dem gleichen Grunde die Besucherzahlen über eine spezielle Kartenvergabe reguliert: Nur Bremer Junkies finden Einlaß, um die Auswärtigen, die das Cafe als Handels-und Druckplatz mißbrauchten, fernzuhalten. „Seitdem geht es“, bestätigt drobs- Leiter Anton Bartling. Es geht allerdings nur mit verstärktem Personaleinsatz: Zwei der festangestellten MitarbeiterInnen müssen während der Öffnungszeiten des Cafes unten sein, hat die drobs sich auferlegt. Samstags kann der Cafebetrieb deswegen nicht aufrechterhalten werden. Und wenn durch Krankheit eine KollegIn ausfällt, wie am Dienstag dieser Woche, dann bleibt die Türe ebenfalls zu. „Das sind wir der Sicherheit unserer MitarbeiterInnen, und auch unserer Motivation schuldig“, sagt Bartling. Denn vier Honorarkräfte haben in jüngster Zeit gekündigt, die Hälfte weil sie von den Junkies massiv angegriffen wurden, ein Kollege mußte über Hof und Garage flüchten: Die Szene bewaffnet sich, nicht zuletzt weil die Dealer nicht mehr die Alten sind.

Über die offene Drogenszene, über Methadonpolitik und die Bekämpfung von Drogenhandel und -kriminalität debattierte Bremens Drogenbeauftragter, Guus van der Upwich, am Dienstag mit seinen Kollegen aus Niedersachsen in Vorbereitung der nächsten gemeinsamen Kabinettsitzung. Mit einem flächendeckenden Angebot niedrigschwelliger Maßnahmen und einem flächendeckenden Methadonprogramm auch in ländlichen Gebieten will Niedersachsen künftig der großstädtischen Sogwirkung Bremens gegenzusteuern helfen. Sein Konzept zur Substitution nach Einzelfallindikation steht. Allerdings auch das Konzept zur psychosozialen Begleitung der Abhängigen: 2 Millionen Mark sollen investiert werden, in einen geplanten Betreuungsschlüssel 1:10 (in Bremen gibt es nur 5 1/2 Stellen für jetzt 300 Substituierte). ra

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen