Cui bono? Wem nützt das?

■ Betr.: RAF/Illegales Infosystem

betr.: RAF / Illegales Infosystem

Seit einigen Wochen geht über die bundesdeutsche Öffentlichkeit ein großangelegtes Trommelfeuer der Staatsschutzbehörden unter tätiger Mithilfe der Medien nieder, daß letztendlich darauf abzielt, die in Lübeck, Celle und Köln bestehenden Kleinstgruppen von RAF-Gefangenen wieder „auseinanderzulegen“ und jegliche Kommunikationsversuche zu kriminalisieren.

Die Bundesanwaltschaft behauptet zu diesem Zweck ein „illegales Informationssytem“ unter den Gefangenen und aus den Haftanstalten nach draußen, behauptet die Steuerung von Aktionen der RAF durch die Gefangenen und die konkrete Vorbereitung neuer Aktionen: Die Zeugenaussagen der Gefangenen Klar und Mohnhaupt im Albrecht-Prozeß, daß sie — wie bereits vorher angekündigt — außerhalb des Prozesses noch etwas zur „Stasi-RAF-Connection“ sagen werden, wird der deutschen Öffentlichkeit in völliger Verdrehung als Ankündigung von Anschlägen verkauft. Die in der Woche vor Ostern bei Zellenrazzien gefundenen Unterlagen werden verschiedenen Journalisten zugespielt um —aus dem Sinnzusammenhang gerissen— dann in „Panorama“ und den anschließenden Presseberichten zur Verbreitung der These vom illegalen Info-System zu dienen. Letzteres geschah übrigens ohne ergangenen Beschluß zur Beschlagnahme, das heißt eindeutig „illegal“.

[...] Nicht nur Menschen, welchen die politischen Gefangenen, aus RAF und Widerstand, nicht automatisch die eingekerkerte Unschuld sind, möchten gern eine Auflösung und Erklärung dieser eigenartigen Politik. Zunächst kann gefragt werden: Cui bono? Wem nützt das? Daß nach all den Jahren und Aktionen die Ermittlungs-, Verfolgungs- und Bestrafungsorgane mit leeren Händen dastehen, ist für sie ein unbefriedigender Zustand. Die strategisch so wichtigen Dienste in dieser besten aller deutschen Republiken begeben sich deshalb offenbar auf ein „anderes Terrain“. Ihr Spielbein scheint vermehrt die „hohe Politik“ geworden zu sein. Sowohl der merkwürdige Bonus-Poker bei der Kronzeugenregelung, wie eben auch oben skizzierte Nicht-, Fehl- und Falschinformation der gemeinen Öffentlichkeit einerseits, der vorgesetzten Dienststellen andererseits, lassen keinen anderen Schluß zu.

Müssen wir nun wirlich glauben, daß „Top-Terroristen“ in bestens observierten Häusern Handskizzen herumliegen lassen? Daß bereits über anderthalb Jahrzehnte im Gefängnis sitzende Menschen Ratschläge und Steuerungshilfe beim Ausbaldowern der Infrastruktur deutscher Großstädte geben? Müssen wir auch annehmen, daß das „Böse“ des bewaffneten politischen Kampfes — man stehe dazu wie auch immer — von derart infizierender Art ist, daß die in den letzten Jahren von der nun eben nicht mehr jugendlichen Mutter ihrer erwachsenen Tochter über hundert in das Gefängnis geschriebenen Briefe als Beweismittel konfisziert werden müssen?

Alle (politischen) Menschen benötigen Austausch, Kritik, Information in größtmöglicher Vielfalt. Für Gefangenene scheint diese Selbstverständlichkeit außer Kraft gesetzt: Kaum ein Wort kann unüberwacht gesprochen werden, Tageszeitungen werden mitunter wochenlang angehalten und zum Teil nicht ausgehändigt, jeder Brief (rein wie raus) wird fremdgelesen, von der Anstalt und dem LKA. Dazu kommt noch: Wenn zirka alle zwei Haftjahre eine Zellenrazzia erfolgt, besteht nicht einmal mehr der Schutz anwaltlicher Post. Ja mehr noch: selbst illegalerweise in die Zellen gelangte Papiere taugen dann ja wohl nicht mehr zum Zustandebringen eines illegalen Infosystems der Gefangenen, dessen Vorhandensein seit Jahren behauptet, dessen Existenz aber nie belegt wurde.

Wir müssen deshalb feststellen: Die Art und Weise, wie mit den Gefangenen umgegangen wird, das verweist auf einen Status, welcher dem der so verabscheuungswürdigen Geiselnahme nahe kommt. In einem der sensibelsten Bereiche unserer Gesellschaft agieren „Dienste“ und Behörden mit oft fragwürdigen, teilweise nicht mehr legalen Maßnahmen. Es herrscht hier scheinbar das Motto von „Rache/Revanche als strategischem Kampfbegriff“. Und die Republik schweigt.

Die eigentlich in der Pflicht stehenden Minister des Bundes und der Länder sollten endlich eigenständig, das heißt ohne Einflüsterungen von Stellen, welche ihre Erfolglosigkeit mit Inszenierungen der eigenen Notwendigkeit verbrämen, Ernst machen mit dem einzig richtigen Weg. Das ist: Die Voraussetzungen und Bedingungen schaffen für eine freie, offene und vertrauensvolle Kommunikation der Gefangenen aus RAF und Widerstand mit Leuten von „draußen“ — und es sind Menschen aus den unterschiedlichsten Wirklichkeiten unserer Gesellschaft bereit, da mitzuarbeiten. Daß die Gefangenen das wollen, haben sie mehrfach unmißverständlich gesagt, doch brauchen sie dazu die Zusammenlegung. Ob die „aktiven Kommandos“ sich zu einer erfolgten Zusammenlegung verhalten werden, kann nur abgewartet werden. AK Drinnen und Draußen Celle