: Steuererleichterungen
Retrospektive im Centre Pompidou soll dem australischen Film in Europa einen besseren Stand verschaffen ■
Als Mad Max Ende der siebziger Jahre seinen Triumphzug um die Welt antrat, tat er das ohne erkennbaren Akzent: Um beim Kinopublikum den Eindruck einer Hollywood-Produktion zu erwecken, wurde der in Australien gedrehte Film selbst im englischsprachigen Ausland in einer synchronisierten Fassung gezeigt. Heute wird ein solcher Etikettenschwindel zwar nicht mehr praktiziert, das Problem ist jedoch geblieben: Man freut sich in Australien über den kommerziellen Erfolg von Mad Max und Crocodile Dundee, bedauert aber zugleich, daß sie vom Publikum zumeist nicht als australische Filme wahrgenommen werden. In jüngster Zeit traf Green Card dieses Schicksal: Die australisch-französische Koproduktion wurde in Amerika gedreht, und prompt konnte man in etlichen Programmzeitschriften lesen: „USA 1990“.
Eine umfangreiche Filmreihe, die derzeit im Pariser Centre Pompidou präsentiert wird, soll nun helfen, solchen Irrtümern vorzubeugen und „Made in Australia“ als internationales Film-Markenzeichen zu etablieren. Bis zum 14. Oktober werden über hundert Filme den Parisern die Gelegenheit bieten, sich vom gesamten australischen Filmschaffen ein Bild zu machen. The Story of the Kelly Gang aus dem Jahre 1906, der als erster „abendfüllender Spielfilm“ der Geschichte gilt, ist dabei ebenso vertreten wie In the Wake of the Bounty (1933), das Leinwanddebüt Errol Flynns (ebenfalls ein Australier). Kurz- und Dokumentarfilme werden ebenfalls gebührend berücksichtigt, und natürlich gibt es auch eine Peter-Weir-Retrospektive.
Erklärtes Ziel dieser Veranstaltung, initiiert und mitgetragen von der Australian Film Commission (AFC), ist es, dem australischen Film neue Märkte zu erschließen. Im Mittelpunkt des Programms steht folglich der „Neue Australische Film“, dessen Erfolgsgeschichte nun schon seit über 20 Jahren andauert. Und damit feiert die AFC zu einem gut Teil auch sich selbst. Denn die Renaissance des australischen Kinos kam nicht von ungefähr, sondern ist wesentlich das Ergebnis einer intelligenten und konsequent betriebenen Filmförderungspolitik. Eine eingehendere Beschäftigung mit dem australischen Beispiel, so die nicht ganz unberechtigte Hoffnung, mag vielleicht Anregungen zur Behebung der Misere der hiesigen Filmkultur und -industrie bieten.
Rein äußerlich betrachtet sind die Unterschiede zur deutschen und europäischen Filmpolitik gar nicht so groß. Wie in Deutschland gibt es in Australien Förderungsinstitutionen auf Bundes- und Länderebene, und es wird unterschieden zwischen einer kulturellen und einer Wirtschaftsförderung. Der Aufbau einer eigenständigen Filmkultur und -industrie begann dort im Jahre 1970 und praktisch bei Null. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren gerade mal eine Handvoll eigener Produktionen zustande gekommen, ansonsten befanden sich die Kinos im Würgegriff britischer und amerikanischer Verleihfirmen. Lediglich in Sydney und Melbourne war Ende der sechziger Jahre so etwas wie eine Underground-Filmszene entstanden, die nun von den politischen Entscheidungsträgern Maßnahmen forderte.
Nachdem sie bei der Regierung unter Premierminister John Gorton auf Resonanz gestoßen waren, ging alles sehr schnell: Zunächst wurden auf Bundes- und Länderebene Institutionen (wie die AFC) eingerichtet, die Regierungsgelder zur Filmförderung verwalteten, und es wurde eine Filmschule eröffnet, als deren Präsident der berühmte polnische Filmhistoriker Jerzy Toeplitz gewonnen werden konnte. Diese ersten Maßnahmen allein bewirkten, daß in den siebziger Jahren etwa 160 Spielfilme entstehen konnten, darunter die Debüts von Peter Weir, Gillian Armstrong, Bruce Beresford und anderen Regisseurinnen und Regisseuren, die mittlerweile regelmäßig in Hollywood arbeiten.
Dem filmischen Nachwuchs war so genügend Spielraum eröffnet worden. Nun galt es, die Filmindustrie wirtschaftlich auf eigene Füße zu stellen. Durch eine großzügige Steuerpolitik (150prozentige Abschreibungsraten und teilweise Steuerbefreiungen für Erlöse aus Filmproduktionen) wurde privates Kapital in den Bereich der Filmproduktion gelockt. Das kam der künstlerischen Qualität der Filme zwar nicht immer zugute, und es gab auch Leute, die in den Steuergesetzen in erster Linie eine rentable Kapitalanlage sahen. Aber eine Vielzahl unabhängiger Produzenten, die heute bis zu 8.000 Arbeitskräfte beschäftigen, bekamen so die Chance zum Einstieg ins Filmgeschäft. Und mehr war auch gar nicht beabsichtigt. Die Steuererleichterungen wurden daher in den folgenden Jahren schrittweise reduziert, und 1988 nahm die Film Finance Corporation (FFC) ihren Platz ein, die in etwa der deutschen Wirtschaftsförderung vergleichbar ist. Die FFC vergibt ihre Gelder nach unternehmerischen Gesichtspunkten und ist darauf bedacht, vor allem privates Kapital in die Filmproduktion zu lenken.
Die AFC und die Filmförderungsinstitutionen in den Bundesstaaten konnten sich daraufhin wieder ihren ursprünglichen Aufgaben zuwenden: der Suche nach neuen Talenten, der Unterstützung innovativer Filmprojekte, allgemeinen Maßnahmen zur Förderung der Filmkultur — und der Promotion des australischen Films auf dem internationalen Markt, wie jetzt in Paris.
1985 wurde Crocodile Dundee in den USA zum erfolgreichsten ausländischen Film der Filmgeschichte; auf internationalen Festivals zählen australische Produktionen regelmäßig zu den Favoriten. Die Gründe für den erfolgreichen Aufbau einer international konkurrenzfähigen Filmindustrie und einer lebendigen Filmkultur innerhalb von zwanzig Jahren lassen sich aus der Ferne nur vermuten. Offensichtlich verdanken die Australier ihn nicht irgendwelchen institutionellen Patentlösungen, sondern vor allem dem politischen und kulturellen Klima, in dem diese Institutionen agieren. Es scheinen paradoxerweise gerade die schlechten Ausgangsbedingungen gewesen zu sein, die die Australier dorthin gebracht haben, wo sie heute stehen. In einer Situation, in der es nichts zu verlieren gibt, fällt es nicht besonders schwer, dem filmischen Nachwuchs Entfaltungsspielraum, bis hin zu Steuervergünstigungen, zu gewähren.
Risikobereitschaft und Experimentierfreude waren demnach keine bloßen Forderungen, die an die Filmemacherinnen und Filmemacher gerichtet wurden, sondern wurden von der Politik selbst praktiziert. Von einem solchen (Selbst-)Vertrauen ist hierzulande wenig zu spüren. Vielleicht wären auch die Filmförderungsgremien in Deutschland gut beraten, sich weniger als Hüter der Kultur zu begreifen, als auf das Talent des Filmnachwuchses zu vertrauen und es gewähren zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen