: Offener Brief an Micha Brumlik: Israel und Friedensbewegung, taz vom 10.6.91
an Micha Brumlik: Israel und Friedensbewegung
(siehe dazu „Kirchentag: Zerfleddert und zu matt“,
taz vom 10.6.91)
Herr Brumlik, ich habe auf dem Kirchentagsforum „Peinlichkeiten in Deutschland“ erlebt, wie katastrophal Friedensbewegte und jüdische Menschen aneinander vorbeigeredet haben, ich war schockiert, wie unüberwindlich die Mauer zwischen dem Podium und dem zu 90 Prozent friedensbewegten Publikum schien. Ich wende mich an Sie stellvertretend für alle jüdischen Menschen, die Ihre Meinung teilen:
Sollten wir nicht, vier Monate nach dem Golfkrieg, fähig sein, endlich einmal zuzuhören, anstatt Abhandlungen über die Andersdenkenden und deren Motive zu schreiben, einen fairen Dialog zu führen, ohne Pauschalvorwürfe, ohne vordefiniertes Feindbild („Wer gegen den Krieg ist, ist gegen Israel“)?
Ich muß zugeben, ich habe mir während des Krieges nur am Rande Gedanken über die Bedrohung Israels gemacht. Ich kam zu dem Schluß und bin nach wie vor dieser Meinung, daß Israel nicht durch Krieg geschützt werden kann, und als ich das aus dem Mund der israelischen Jüdin Felicia Langer bestätigt bekam, war das kein Problem mehr für mich. Die Ablehnung der Mehrheit der Israelis uns gegenüber war mir schlichtweg unbegreiflich (jetzt vielleicht nicht mehr so sehr). Versäumt habe ich es, das ist mir erst jetzt klargeworden, mich in die Lage der Menschen in Israel zu versetzen und über die Gründe von deren weitgehender Ablehnung uns gegenüber nachzudenken. Ich will hier nicht versuchen, dieses Versäumnis zu rechtfertigen.
Aber ich denken, auch Sie, die Sie Ihrerseits unsere Haltung so unverständlich fanden, müssen sich fragen lassen, ob Sie sich mit unseren Argumenten, Forderungen und Motiven differenziert auseinandergesetzt haben. Wir haben erlebt, wie wir von einer Allianz aus Regierungsparteien, Medien und bellizistischer Linker in die antiisraelische Ecke gedrängt wurden, ohne daß uns die Betreffenden vorher zugehört hätten. Man hat uns die Diskussion verweigert und oft genug in „Expertenrunden“, bei denen wir nicht vertreten waren, absurde Vorwürfe gegen uns erhoben.
Da haben auch wir vieles schmerzhaft empfunden. Sie wissen vielleicht nicht, daß wir uns an den Mahnwachen auch mit so originellen Argumenten wie „ihr gehört doch vergast“ beschäftigten mußten. Sie haben vielleicht auch nicht darüber nachgedacht, welche Kultur politischer Auseinandersetzung Urteile wie „Saddams Fußvolk“ oder „blinden Stasi-Marionetten“ verraten. Wir mußten das ganze Repertoire der üblichen Beschmutzungen, von harmlosen Weltfremden über heuchlerische Gesinnungslumpen bis hin zu militanten Staatsfeinden, über uns ergehen lassen, und zwar von Rassisten wie von Bellizisten, von offenen Befürwortern einer harten Disziplinierungspolitik gegenüber der Zweidrittelwelt wie von angeblichen oder echten Freunden Israels. Besonders bitter war es, von einem Tansparent „German pacifists sell gas to Saddam Hussein“ auf einer Demo in Tel Aviv zu lesen. Da verstehe ich die Welt nicht mehr.
Was ich nach wie vor nicht begreife ist, daß Sie die Regierungspolitik und die Waffenexportpolitik nie so scharf kritisiert haben wie die Friedensbewegung, im Gegenteil, dieselben Politiker, die mitverantwortlich für die Aufrüstung des Irak waren, konnten die jüdische und israelische Kritik zur Diffamierung der unbequemen Friedensbewegung instrumentalisieren. Man hat den Eindruck, als stünden Sie den Politikern, die gestern Saddam Hussein und heute Hafis el-Assad unterstütz(t)en näher, als denen von uns, die seit Jahren gegen diese verfehlte Poltik ankämpfen! Und wenn Sie ('FR‘, 25.1.91) für den Einsatz deutscher Soldaten am Golf plädierten, dann leisten Sie in meinen Augen denen Schützenhilfe, die durch eine Grundgesetzänderung endlich einen Schlußstrich unter die deutsche Vergangenheit ziehen wollen...
Ich habe mir von Ihrer Seite zumindest Unterstützung für die Kampagne gegen Rüstungsexporte erhofft, einen mahnenden Appell an die Deutschen, aus den erneuten Fehlern endlich zu lernen und keine weiteren Gas- oder ähnliche Aktivitäten zuzuzlassen. Sind wir uns nicht wenigstens in diesem Punkt einig?
[...] Toni Menninger, Würzburg
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