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Die grün-weiß-rote Koalition

■ Nur einmal im Jahr blickt die balltretende Nation zur Spree: Beim DFB-Pokalendspiel/ Werder gegen Köln ist wieder mal die allerletzte Bastion für fußballinteressierte Fans

In Berlin gibt es nur noch ein Fußballspiel pro Jahr, in dem echt die Post abgeht: das Pokalfinale des Deutschen Fußball- Bundes. Natürlich immer wieder ohne Berliner Beteiligung, seitdem Hertha BSC sich 1979 aus dem Endspielstreß verabschiedete. Aber das macht gar nichts.

Am Finaltag rückt die Meute an. 73.270 grün-weiß, rot-weiß und neutral gekleidete Menschen werden die finale Kickerei um den silbernen Pokalpott miterleben. »Wir hätten auch 150.000 Karten verkaufen können«, prahlt DFB-Pressesprecher Niersbach. Da stehen sich »feindliche« Kräfte gegenüber, davon träumt der Hooligan. Denn es regieren die überschwappenden Gefühle. Sekt oder Selters, alles oder nichts — etwas anderes gibt's in so einem Endspiel nicht.

Nach dem Spiel beobachten die zu Tode Enttäuschten mit wunderbarem Frustpotential die euphorisch Feiernden als provozierenden Gegenpol. Ideale Konstellation für geile Boxereien. Da müßte es doch wieder klappen, wünscht sich der Fußballrandalierer. In Ost-Berlin klappte es faßt jedes Jahr. 1988 zum Beispiel duellierten sich beim Randale-Derby der Dynamo-Teams aus Dresden und Berlin im und um das Stadion der Weltjugend Hunderte von Hooligans. Die Volkspolizei war völlig überfordert und beschränkte sich auf den Schutz der erschreckend nahen Staatsgrenze und der erschrockenen Bürger. Die Schlägereien konnte (oder wollte) sie nicht unterbinden. Nach dem Spiel wurden über hundert Hools eingesammelt, die aber längst ihren Spaß gehabt hatten.

Aber der Spaß an der Randale wird den Hooligans jedes Jahr ziemlich vermiest. »Es ist nicht die Stadt zum Randalieren«, sagt Andreas Klose vom Hertha-Fanprojekt und meint damit die Atmosphäre Berlins. Viele Fans der endspielqualifizierten Vereine kommen auch wegen Ku'damm-Bummel und Mauerschau. So werden sich heute 1.600 uniformierte Ordnungswächter und ihre 600 Kollegen vom zivilen Ordnungsdienst vorsätzlich zurückhaltend verhalten. »Wir streben eine Art Serviceeinrichtung für den Bürger an«, umschreibt Gesamteinsatzleiter Dieter Krüger das dezente Auftreten seiner Polizisten. Zu den Versuchen, Ausschreitungen bereits im Keim zu ersticken, gehört ein »Sorgentelefon« der Polizei. Wer die Nummer 30751390 in Berlin wählt, kann um Polizeischutz bitten, den Weg zum Stadion erfragen oder auch Bescheid sagen, wo er gerade kräftig randaliert.

Wer nicht telefonieren kann, braucht nur herumfahrende Info- Motorräder oder Info-Autos der Polizei zu stoppen und schon wird er in ein hilfreiches Gespräch verwickelt. Man kann nur hoffen, daß die Berliner Beamten die Kumpeltaktik genausogut beherrschen wie die vorschnelle Fingerklopfstrategie vor vier Tagen beim letzten Ostberliner Lokalderby zwischen dem FC Berlin und dem 1. FC Union.

Nach dem 2:0 des FC verwehrten sie den jubelnden Fans jeglichen Freudentaumel in Rasennähe, obwohl an den letzten Bundesliga-Tagen des Westens serienweise die Spielflächen gestürmt wurden. Und als sich auf dem Heimmarsch rechtsgesinnte Hooligans und linksautonome Hausbesetzer ausnahmsweise mit freundlichen »Antifa«-Rufen begrüßten, waren die Polizisten vollständig verwirrt und unterbrachen knüppelschwingend den eigenartigen Dialog.

Die Fanprojekte von Berlin werden darauf verzichten, mit umfangreichen Spielwiesen, Blasmusik und weiteren Ablenkungsmanövern die gewaltbereiten Fans einzuschläfern. Die Pleite vom Hannoveraner Länderspiel gegen Belgien am 1. Mai sitzt allen Projektlern noch in den Knochen. Seinerzeit vergnügten sich bei Sauwetter nur wenige Fans an der Torwand bei fröhlicher Torejagd, während eine Hooligan-Gruppe in der Innenstadt lieber die Bullen jagte. »Nun müssen wir erst überlegen, was man überhaupt anbieten kann«, gesteht der Berliner Fanbetreuer Klose und weiß auch, daß echte Angebote für die Fans wahrscheinlich zuviel Geld kosten.

So treffen sich die Mitarbeiter verschiedener Fanprojekte heute vormittag in Berlin, beraten ihre Taktik, verteilen sich in die Stadt und warten. Viel erwarten sie nicht, denn die Pokalendspiele der letzten Jahre blieben Bastionen der friedens- und fußballiebenden Fans.

Die Kölner Fanschar gilt in der Bundesliga-Szene zwar als isoliert und unsympathisch, die Bremer Fans dagegen als beliebt. Am Pokaltag dürfte das alles ziemlich egal sein. Fanbetreuer und Polizisten kennen ihre »schwarzen Schafe«, zumal seit Anfang Mai die fleißigsten und berüchtigsten Fußball-Schläger in der umstrittenen Datei »Gewalttäter Sport« beim Bundeskriminalamt gesammelt werden.

Die berühmt-berüchtigten Ostberliner FCB-Hools kümmert das West-Pokalfinale herzlich wenig. Sie haben ihre eigenen Sorgen, morgen geht es für den FC Berlin in Magdeburg ums Überleben in der 2. Bundesliga. »Die Black box sind die Hooligans der neuen Länder«, meint Andreas Klose. Er befürchtet eher Zulauf durch Dresdner oder Leipziger Krawallmacher. Sie werden aufmerksam erwartet — von der Polizei.

Etwa 20.000 Bremer und genauso viele Kölner Fans bevölkern ab heute vormittag die Stadt. Berlin läßt die rot-grüne Koalition auferstehen. Die Einfallstraßen werden extra rot für Köln und grün für Bremen geschmückt, damit sich auch keiner verfahren kann. Dabei ist die Sehnsucht der Fans nach Berlin in diesem Jahr geringer als zuvor. Die Hotelpreise sind zu hoch, die Übernachtungsangebote des Fanprojekts nahmen nur etwa 100 Anhänger an, die meisten kommen erst am Samstag — und fahren auch gleich wieder heim.

Vorher hoffen beide sehnlichst auf einen tor- und erfolgreichen Nachmittag, den die Bremer mit etwa 1.500 aufblasbaren Stadtmusikanten, die extra in China produziert wurden, erzwingen wollen. Die Idee, mit Berliner Bären aus Gummi für die Hauptstadt zu werben, ist ja nun verschenkt. Hagen Boßdorf

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