: Rauchende Colts für kalte Krieger
„Wells Fargo“, eine neue alte US-Serie bei RTL plus, und der Western-Boom der 50er Jahre ■ Von Martin Compart
Offenbar hat man sich bei RTL plus dazu entschlossen, dem Konkurrenten SAT.1 nicht länger das Monopol auf alte Western-Serien zu überlassen. Ob man allerdings mit dem eher drittklassigen Oldtimer Wells Fargo (jeweils montags bis freitags um 12.35 Uhr) mit Dale Robertson viele Zuschauer erreicht, scheint fraglich. Diese Serie wurde von NBC auf dem Höhepunkt des TV-Western-Booms 1957 gestartet und lief in 167 halbstündigen und 34 stundenlangen Episoden bis 1962 und war sogar 1958 auf Platz 7 der meistgesehenen Fernsehshows. Das Konzept war so einfach wie wirksam: Erzählt werden die Abenteuer des Troubleshooter Jim Hardie, der Folge für Folge für das berühmt-berüchtigte Transportunternehmen Wells Fargo die Kartoffeln aus dem Feuer holt. Kleine, gradlinig erzählte Stories, die auf B-picture-Niveau moralinsauer dahinträufeln und einmal mehr die falsche Mär vom Wilden Westen zum Besten geben. Aber ein guter Anlaß, um mal an ein Stück Fernsehseriengeschichte zu erinnern.
Die ersten richtigen Fernsehserien waren Western für Jugendliche. Ab 1946 zeigte ein amerikanischer Sender neu geschnitten die alten Film-Serials um Hoppalong Cassidy. Die Filme um den Cowboydarsteller William Boyd waren ein gigantischer Erfolg. Es waren naive, anspruchslose Geschichten, auf deren jeweiligen Höhepunkt Hoppy, wie der Wildwest-Ritter liebevoll von seinen Fans genannt wurde, mit seinem Pferd hinter den Bösen herjagte. Aber es waren die ersten „draußen“ produzierten Fernsehfilme. Ansonsten kannte man nur Dramen die live im Studio auf der Bühne spielten und übertragen wurden. Wilde Autojagden, wie sie später das Markenzeichen von TV-Krimis werden sollten, konnten da natürlich nicht stattfinden. Hoppy und die endlose Folge anderer Jugend- Western holten dagegen aufwendig die Natur auf den Bildschirm.
Die Fernsehsender hatten nur geringe Möglichkeiten, um richtige Serien zu produzieren, da sie über keine Filmstudios mit entsprechender Infrastruktur verfügten. Diese frühen Live-Shows wurden fast ausschließlich am Ort des Senders, in kleinen Studios in New York, wo sonst die Nachrichten verlesen wurden, hergestellt. Also gab es auch kaum Möglichkeiten für unterschiedliche Bühnenbilder. Wenn Detektiv Martin Kane den Schauplatz wechselte, mußte während der Werbeunterbrechung blitzschnell die Dekoration umgebaut werden. Hollywood nahm anfangs des Fernsehen als Konkurrenz nicht ernst. Aber immer mehr Amerikaner gaben die Unsumme von 400 Dollar aus, um — wie es hieß — ein „Radio mit Bild“ zu erwerben. Das führte dazu, daß Hollywood seinen Bann über das Fernsehen schlug. Schauspieler, die für das neue Medium arbeiteten, konnten sich ein Engagement bei einer der Major Studios abschminken.
Letztlich konnten die Studios sich dem Erfolg des neuen Mediums jedoch nicht verschließen. Die erste Filmgesellschaft, die den Fernsehbann brach, war Walt Disney Productions. Sie stellte nicht nur die Studios für TV-Produktionen zur Verfügung, für den Sender ABC produzierte sie ab 1954 die Anthologie- Reihe Disneyland. In dieser Reihe wurde ab Dezember 1954 als Dreiteiler die Geschichte des legendären Waldläufers, Indianerkämpfer Davy Crockett gezeigt.
Fess Parker, der in den 60er Jahren den nicht minder legendären Westmann Daniel Boone spielen sollte, war als Davy Crockett der erste Held der Fernsehgeschichte, der am Ende einer Serie ins Gras beißen mußte, bei der berühmten Schlacht um Fort Alamo. Die Serie löste den ersten TV-Kult und gleichzeitig den größten Fernsehkult der 50er Jahre aus. Kaum ein Junge, der nicht mit Crocketts Waschbärenmütze herumlief.
Der Kino-Western boomte in den 50er Jahren. Aber auf dem Bildschirm sahen die Erwachsenen lediglich Helden wie Roy Rogers, den Lone Ranger oder Hoppalong Cassidy. Damit konnte man natürlich keinen volljährigen Western-Fan vor den Bildschirm locken. 1955 war das Jahr, in dem das Fersehen den sogenannten „adult western“ entdeckte. Der Boykott der Hollywood- Studios wurde von Warner-Brothers durchbrochen, die ab 1955 Fersehserien produzierten und bis heute eine der größten TV-Produktionsgesellschaften blieben. So war es möglich, daß in den kalifornischen Studios und in der freien Natur relativ aufwendig Westernserien produziert werden konnten. Die erste Westernserie, die sich auch an ein Erwachsenenpublikum wandte, war Wyatt Earp mit Hugh O'Brian. Aber es war die wenige Wochen später gestartete Serie Gunsmoke (Rauchende Colts), die den Boom der Adult Western auslöste. Am 10. September 1955 um 22.00 Uhr sahen die amerikanischen Zuschauer des Senders CBS John Wayne vor einer Pferdekoppel stehen: Er begrüßte sie zur ersten Folge der neuen Serie über die Abenteuer eines Marshalls von Dodge City. Die Produzenten hatten ursprünglich Wayne für die Rolle von Marshall Dillon haben wollen. Wayne lehnte wegen seiner Filmverpflichtungen ab, machte die Produzenten aber auf James Arness aufmerksam. Gunsmoke wurde die langlebigste Westernserie der Fernsehgeschichte. In 20 Jahren wurden 156 25-Minuten- Folgen in Schwarzweiß und 356 farbige 45-Minuten-Folgen produziert. Den Höhepunkt erreichte die Westernwelle 1958/9: jede Woche konnte man die Folgen von über 30 verschiedenen Westernserien sehen und unter den zehn meistgesehendsten Serien waren 7 Western.
Nicht ganz so langlebig wie Gunsmoke, aber nicht minder erfolgreich, war Bonanza. Die Serie lief von 1959 bis 1973 mit 440 Folgen und war die erste ganz in Farbe produzierte Fersehserie. Sie verband äußerst geschickt den Western mit der Familienserie. Diese erfolgreichste US-Serie der 50er Jahre wurde Anfang der 60er bereits in 59 Länder verkauft. Offensichtlich gefiel es weltweit, wenn die Cartwrights mit dem Colt in der Faust jede äußere Bedrohung ihrer konservativen Werte beantworteten. Als Botschafter des American Way of Life waren sie ein nicht zu unterschätzender Faktor im Kalten Krieg der Ideologien. Keine andere Serie war ähnlich frauenfeindlich und ritt so penetrant auf Westernmaßstäben, wie Familie, Eigentum, Autoritätshörigkeit und der Lüge von der Chancengleichheit herum. Der große Erfolg der US-Western in den 50er Jahren hatte sicherlich auch mit dem Selbstverständnis der Amerikaner als selbsternannte Weltpolizisten zu tun. Bis Mitte der 60er Jahre wurden mehr oder weniger erfolgreiche Westernserien produziert (die letzte wirklich erfolgreiche war High Chaparral).
Aber die Zeit des Westerns war vorbei. Die immer wieder gleichen Geschichten über Großrancherfamilien und brave Sheriffs trafen nicht mehr den Nerv der Zeit. Italo- und Spätwestern rückten die Indianerkriege in neues Licht und Vietnamkrieg und Jugendrevolte ließen Ben Cartwrights Allerweltsweisheiten und Moralvorstellungen mehr als lächerlich erscheinen. Der Wilde Westen der TV-Serien ist ein Traum der bürgerlichen Gesellschaft. Aber es gibt immer auch einen mythischen Helden, der durch bestimmte Fähigkeiten — schnelles Schießen oder die genaue Kenntnis der feindlichen Natur — aus der Reihe der Normalbürger heraussticht.
Trotzdem ist er durch die Normen der bürgerlichen Gesellschaft geprägt — oder wird im Handlungsverlauf auf sie sozialisiert. Der Held, der aus dem sogenannten freien Land kommt, in dem es weder Ordnung noch Gesetz gibt, wird am Ende fast jeder Story domestiziert. Seine Vernunft sagt ihm, daß ein anarchisches Leben auf Dauer nicht möglich sei, und so unterwirft er sich letztlich den bürgerlichen Normen. Mehr noch: Er verinnerlicht die Normen so intensiv, daß er zum radikalsten Verteidiger dieser Ordnung wird.
Psychologen haben diese Strukturen als besonders reizvolle Handlungsmuster für Jugendliche, bei denen sich der Western immer besonderer Beliebtheit erfreut hat, analysiert. Es ist der Traum von einem ungebundenen, nur sich selbst verpflichteten Leben und der zunehmenden Gewißheit um dessen Unmöglichkeit. Die erfolgreichsten TV-Western spielen nicht von Ungefähr in der Zeit, als die Landnahme abgeschlossen ist und sich Großfirmen und Konzerne herauszubilden beginnen. Sie waren eine unentwegte Rechtfertigung des Raubkapitalismus und mußten folgerichtig in den 60er Jahren unglaubwürdig werden.
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