: Schmerz ohne Lohn
■ Brauweiler Frauen schlugen die verletzten Seriensieger aus Siegen mit 1:0 und holten den Pokal
Nach einer guten Stunde ließ Myriam Knieper, die Mittelfeldspielerin des TSV Siegen, enttäuscht den Kopf hängen. Da hatte sie gerade den dritten gefährlichen Schuß auf das Tor von Grün-Weiß Brauweiler abgegeben, und Silke Rottenberg hatte auch diesen sicher gefangen. Die hatte es schon vor dem Spiel geahnt: „Da hab' ich gemerkt, daß ich total gut drauf bin. Heute haben die Bälle an meinen Handschuhen geklebt.“ So waren es am Ende wohl fast ein Dutzend guter bis bester Chancen, die von der 19jährigen Arzthelferin im Tor pariert wurden. Damit sicherte sie sich und ihren Mitspielerinnen den Pokal und das Fest auf dem Dorfplatz der 12.000-Einwohner-Gemeinde im Nordwesten von Köln.
Nur eine richtige Chance hatte der Regionalligist gehabt, der kurz vor dem Aufstieg in die Bundesliga steht, und die hatte er genutzt. Ein Fernschuß war in der 19. Minute gegen die Latte des Siegener Tores geklatscht und Michaela Kubat hatte aus ein Meter Entfernung zum Siegtor eingeköpft. Der Rest war teilweise verzweifelte Verteidigung gegen den übermächtigen Favoriten. Aber das Krankenlazarett des diesjährigen Damenfußball- Meisters TSV Siegen, der in dieser Saison noch kein Spiel und überhaupt noch nie ein Finale verloren hat, schaffte den Ausgleich einfach nicht. Die Hälfte der Mannschaft war krank, halb oder ganz verletzt.
Torfrau Marion Isbert hatte bis drei Uhr nachts wachgelegen. Rekord-Nationalspielerin Sissy Raith spielte mit einer Fistel am Fuß. So war es besonders jammervoll, daß der Schmerz nicht belohnt wurde. Denn da war da immer Silke Rottenberg vor. „Das ist der Lohn für die ganze Ackerei“, sagte nach dem Spiel Brauweilers Kapiteuse Claudia Klein und schüttelte dann schwungvoll ihre Locken. „Nee, auch wenn wir noch zwei Aufstiegsspiele haben, heute machen wir richtig einen drauf.“ Solche Feste sind die einzigen Prämien für die Fußballerinnen, denn trotz Europameisterschaftsgewinn und neuer Damenfußball-Bundesliga sind sie noch immer die größten Amateure unter den Kickern.
Die Siegerinnen aus dem Rheinland etwa logierten in aller Bescheidenheit in einer Berliner Jugendherberge. Und nur beim Frauenfußball ist es wohl auch möglich, daß der Trainer eines Seriensiegers so richtige und lobenswerte Sätze sagt, wie Gerhard Neuser vom TSV Siegen: „Vielleicht war das ganz gut für unseren Sport, daß wir diesmal nicht gewonnen haben.“ Den schönen Gruß in Richtung Bayern München hat er sich aber verkniffen.
Auch nach 12 Jahren DFB-organisiertem Frauenfußball bleiben allerdings noch die sprachlichen Probleme mit den Kickerinnen. Die beliebte Diskussion, ob die Position der letzten Frau nun Libero oder Libera heißt, ist immer noch offen. Ohne Rücksicht aufs Geschlecht lobte Brauweilers Trainer Thomas Meyer „unseren Torhüter“, während Gerhard Neuser „meine Spieler“ in Schutz nahm. Später, nach dem Endspiel der Männer, war das aber wieder reichlich egal. Da konnten die Frauen nämlich für sich in Anspruch nehmen, das wesentlich sympathischere Finale gezeigt zu haben. Christoph Biermann
Siegen: Isbert - Wiese - Veldhuizen, Nardenbach - Raith (57. Zyganowski), Camper, Voss, Knieper, Neid - Kern, Mink (64. Henkel). Zuschauer: 30.000
Tor: 1:0 Kubat (19.)
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