Die Gretchenfrage: Körper oder Geld?

■ Podiumsdiskussion über die Perspektiven eines »deutschen Feminismus«/ Ost- und Westfrauen können sich gegenseitig kaum verständigen/ Mangelndes Interesse jüngerer Frauen am Feminismus

Schöneberg. Alle wissen es, und doch weiß keine, wie es weitergeht. Freya Klier, Theaterregisseurin, Autorin, 1988 aus der DDR hinausgeworfen, sagte es drastisch: »Die Situation für Frauen in der ehemaligen DDR ist indiskutabel beschissen. Aber es passiert nichts.« Kurzum — Freya Klier wünscht sich eine »große gemeinsame Bewegung« von Frauen in Ost und West. »Die Frauen diskutieren zwar viel. Aber sie machen zuwenig.«

Vorerst wurde jedoch noch einmal, wieder einmal, diskutiert. »Perspektiven oder Zukunft. Ein deutscher Feminismus«, das Podiumsgespräch mit Journalistinnen und Künstlerinnen aus Ost- und West- Berlin bildete den Abschluß des Frauenprojekts »Außerhalb von Mittendrin« der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst.

Aber die gemeinsame Bewegung, die Freya Klier so vehement fordert, sie ist nicht in Sicht, kann es vielleicht auch gar nicht sein. Denn schon der Ost-West-Frauenkongreß im vergangenen Jahr war so etwas wie eine traumatische Erfahrung für beide Seiten, immer wieder wurde sein Scheitern thematisiert. Die hoffnungsfrohe Verschwisterung klappte nicht — seitdem haben sich die Frauen jeweils in ihr vertrautes Territorium zurückgezogen, wie Sybill Klotz vom Unabhängigen Frauenverband nüchtern konstatierte. Die Gründe für die Funkstille, so wurde deutlich, haben viele Facettten. Es sind die unterschiedlichen Lebenssituationen, die unterschiedlichen politischen Erfahrungen, aber auch eine unterschiedliche Struktur der »Frauenkämpfe«. Während im Osten um den Unabhängigen Frauenverband herum »Bewegungsfrauen« den Ton angeben, gibt es im Westen zwar keine klassische Bewegung mehr, dafür sind Feministinnen in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen und Institutionen präsent. Die Frage von Moderatorin Claudia Henne, wie dann überhaupt ein Zusammengehen möglich sei, blieb offen. Nüchterne Einschätzungen auf beiden Seiten. Sybill Klotz erklärte, warum sich die meisten Frauen in der DDR nicht offensiver gegen die Situation wehrten — im übrigen ein Standardvorwurf der Westfrauen, der sie inzwischen geradezu aggressiv mache. In einer Gesellschaft, die ganz aufs Kollektiv ausgerichtet war, gehe es nun ums individuelle Überleben. Das binde die Energie der Frauen, es bleibe kaum Kraft und Zeit, sich zum Beispiel im Kampf gegen den Paragraphen 218 zu engagieren. Außerdem hätten die Frauen andere Probleme — Sorgen um den Arbeitsplatz oder die Kinderbetreuung bedrängten sie unmittelbarer.

Dennoch waren sich die Frauen in einer Hinsicht einig. Im Kampf gegen den Paragraphen 218 könne — zumindest theoretisch — die Basis für die »gemeinsame Bewegung« liegen. Trotzdem bot die Diskussion ein verblüffendes Beispiel für die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Ost und West. Als Annette Eckert, eine der Organisatorinnen des Projekts, erklärte, es gehe hier auch darum, »wie wir mit unserem Körper umgehen«, antwortete eine Aktivistin des Unabhängigen Frauenverbandes aus dem Publikum umgehend und genervt: »Die Frauen der ehemaligen DDR können damit nichts anfangen.« Das sei keine »lebendige Diskussion«. Statt des Körperumganges interessiere sie vielmehr der Umgang mit Geld. So erschien der einen — weil es eben keinen gemeinsamen Kontext gibt — als abgehobener Luxus, was für die andere Teil ihres Selbstverständnisses ist.

»Schlechte Zeiten für uns Frauen« prognostizierte die Rundfunkjournalistin Gesine Strempel vom SFB- Frauenmagazin Zeitpunkte. Sie hielt den Westfrauen vor, sich »wunderbar angepaßt« zu haben, nicht mehr energisch genug gegen das »Aufsteiger-Karussell der mittelmäßigen Männer« zu opponieren. Dabei wisse sie selbstverständlich, wie schwer das sei und wieviel persönlichen Mut es erfordere. Schließlich: »Wer hält es schon aus, immer ekelhaft zu sein?« Trotzdem verlange sie von Frauen, sich aus ihrer Rolle als »Dienerinnen des Patriarchats« zu befreien: »Sonst wird aus uns nichts.« Sie selbst beschrieb jedoch auch die Gegenbewegung: Jüngere Frauen würden sich leider zunehmend vom Feminismus und Feministinnen distanzieren. Die zukunftsweisende Frage, was zu tun sei, damit die Frauenbewegung mehr Frauen anziehe, blieb unbeantwortet. Helga Lukoschat