piwik no script img

Der verbissene Kleinkrieg gegen »Banden«

■ In der Frankfurter Allee tun die Anwohner alles, um Jugendliche zu vertreiben/ Permanente Polizei-Alarmierungen

Friedrichshain. Man kann richtig darauf warten. Wenn hinter den Betonneubauten der Frankfurter Allee 100 bis 106 mehr als fünf Jugendliche auftauchen, trifft nach nicht allzu langer Zeit die Polizei ein. Irgendeinen Grund finden die braven AnwohnerInnen immer, um die Ordnungsmacht zu rufen. — Die Palette reicht von Ruhestörung bis mutwillige Sachbeschädigung, die es mit Hilfe der Polizei zu verhindern gilt. Und noch ein Terminus wird regelmäßig im Zusammenhang mit den Jugendlichen genannt, ein Begriff, bei dem offenbar jeder sofort weiß, was gemeint ist — Jugendbande. »Quatsch, wir sind 'ne Clique, so wie früher eben«, sagt einer der 15- bis 18jährigen und meint die sozialistischen Zeiten, als Jugendbanden noch etwas waren, das es offiziell nur im Westen gab. Eine Clique ist in seinen Augen nichts Gefährliches — man kennt und trifft sich eben. Dabei leben nur wenige von gut 20 Jungen und Mädchen selbst in den erst 1986 errichteten Betonbauten. »Da wohnen nur ehemalige SED-Bonzen und Stasispitzel. Jemand anders hat doch früher solche Wohnungen gar nicht bekommen«, weiß einer von ihnen.

Tatsächlich waren die Lückenbauten, die an der ehemaligen Protokollstrecke Frankfurter Allee die immer noch offenen Wunden des letzten Krieges schließen sollten, ein Parteiauftrag zum elften und letzten SED-Parteitag. In ziemlicher Hast schaffte man es gerade noch, die Häuserzeile zum Beginn des Politspektakels fertigzustellen und von glücklichen Mietern bewohnen zu lassen. Kein Kunststück bei den vielen Wohnungssuchenden. Die einfachen Rentner, die in ihren Balkonkästen vor der Wende Tomaten züchteten, erwecken kaum den Eindruck einer SED-Prominenz. Stasispitzel hat es hier sicher nicht mehr und nicht weniger als in jedem anderen Mietshaus der alten DDR gegeben.

Was aber zieht nun die Jugendlichen immer wieder so hartnäckig an diesen Ort, wo die Bewohner bei ihrem Erscheinen die Polizei rufen? »Na weil et hier nen bißchen grün ist«, erklärt einer von ihnen ohne Zögern. »Sogar 'ne Tischtennisplatte is hier und überhaupt, was soll'n wir denn sonst machen. Mehr als irgendwo rumhängen können wir ja hier in der Gegend kaum tun. Hier is ja nischt weiter! Irgendwo müssen wir ja sein und hier gefällts uns am besten«, erklärt eines der Mädchen. Ein Junge neben ihr bestätigt das und fügt hinzu: »Hier ist ja weit und breit nichts. Höchstens noch der Traveplatz, aber da sind immer so viele Penner. Mit denen in der Nähe fühlen wir uns auch nicht wohl.« Und so treffen sie sich hier — nicht regelmäßig, aber doch immer wieder. Sie basteln an ihren Motorrädern, üben den rechten Schwung mit den so schön gefährlich blitzenden Messern und produzieren sich als Karatekämpfer.

Eigentlich wäre das alles kaum Grund für die ständigen Auseinandersetzungen mit den Mietern, zumal der eigentliche Grund woanders liegt. Wie überall in den Neubaugebieten der Ex-DDR wurde auch hier nur nach Wohneinheiten geplant und abgerechnet. Bedacht wurde in der Planung jedoch nicht, wie und wo Kinder spielen und die Autos ihrer Eltern parken sollen. Wäre das Ganze nicht Parteitagsobjekt gewesen, hätte es vielleicht sogar nicht einmal die jetzt vorhandene Alibilösung gegeben: Hinter den Häusern wurde ein Parkplatz, ein Buddelkasten und eine Grünfläche mit Bäumen angelegt, die jedoch noch so klein sind, daß sie einige Jahre brauchen werden, um Schatten zu spenden. Der Parkplatz reichte schon vor dem Autoboom, der mit der Wende kam, nicht aus. Und der Buddelkasten für die Kleinsten ist so dicht neben dem Parkplatz angelegt, daß die Auspuffrohre ihre bleierne Last direkt in die Gesichter der Kinder pusten. Die Tischtennisplatte steht ebenfalls keine drei Meter neben den parkenden Autos. Die Kinder fahren mit ihren Fahrrädern Slalom um die Autos, und diese fahren beim Einparken wiederum um die Kinder. Die Jugendlichen lassen sich nicht von den Autos stören, doch die Autobesitzer klappern tagtäglich vor Angst mit den Zähnen, irgend jemand könnte den Lack ihrer Autos beschädigen. Während sie ihre eigenen Kids noch halbwegs unter Kontrolle haben, ernten sie mit diesbezüglichen Forderungen und Drohungen in Richtung der Jugendlichen nur Hohn. Mit einigen Hausbewohnern hat die Konfrontation inzwischen kleinkriegsähnliche Zustände angenommen. Man beschimpft sich gegenseitig, die zwischen den Autos stehenden Jugendlichen werden heimlich fotografiert, um die Bedrohung der Autos jederzeit belegen zu können. Und immer wieder wird die Polizei alarmiert. Diese rückt in gemischter Besetzung an, redet mit den Jugendlichen, nimmt immer mal wieder einen mit und schüttelt ansonsten den Kopf. Man kennt sich schon, einer der Jugendlichen meint, daß es sogar die Polizei inzwischen für albern halte, jedesmal zu kommen.

Wie verbissen die Auseinandersetzung geführt wird, beweist aber auch der Fall von Michael (Name geändert), einem zur Gruppe gehörenden Maurerlehrling. Der Anwohner W. war in Sorge um sein Auto mit den Jugendlichen in Streit geraten und drohte ihnen mit den schlimmsten Konsequenzen. Michael erinnerte der autoritäre Tonfall von W. jedoch nur an die alten Zeiten — und schmetterte W. vor versammelter Mannschaft die Vermutung entgegen, daß er wohl auch einer von denen sei, die ein Pfund in der alten SED hätten. Daraufhin zeigte dieser ihn umgehend wegen öffentlicher Verleumdung an. Die Jugendlichen verlangten hingegen eine Erklärung, mit welchem Recht und wozu er sie überhaupt fotografiere. W. gab ihnen jedoch keine Antwort und zog sich in den Hausflur zurück. Während die meisten Jugendlichen danach noch diskutierten, probierte einer von ihnen seine neue Schreckschußpistole aus. Es schepperte gewaltig. Markstein

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen