: Der Dis-Countdown läuft
Die Leute wollen sparen, die Umwelt zahlt drauf/ Billiganbieter kommen teuer zu stehen ■ Aus Halle Steve Körner
Erst jüngst verkündete die Stiftung Warentest genaue Zahlen. Sie belegen, was zwischen Rostock und Suhl ohnehin jeder weiß: Im direkten Preisvergleich mit der Alt-BRD schneidet der wenigverdienende Osten übel ab. Die gepriesene Hart- Mark ist im sächsischen Chemnitz nur halb soviel wert wie in Wuppertal. Und der Groschen muß in Erfurt oder Magdeburg zwar in der doppelten Arbeitszeit rangeschafft, er kann aber problemlos in der halben Zeit ausgegeben werden. „Ossi sein in Deutschland ist Luxus, den sich nur erlaubt, wer es sich nicht leisten kann“, heißt es an den Stammtischen, an denen wenigstens das einheimische Bier noch zu sozialverträglichen Preisen ausgeschenkt wird. In Halle beispielsweise liegt das allgemeine Preisniveau um etwa sieben Prozent über dem niedersächsischen. Komplikationslos konnte das frühere Handelsmonopol von Konsum und staatlicher Handelsorganisation in der Stadt durch das kluge Verkaufsmanagement der Treuhand in die neue Zeit hinübergerettet werden. Bei der Privatisierung der alten Kaufhallen bekam „Pfannkuch“ vorsichtshalber in der Neustadt, Edeka in der Altstadt den Zuschlag. Handelsketten, mag man sich bei der Treuhand gesagt haben, darf man nicht so weit auseinanderziehen — sie könnten reißen.
Von einer Konkurrenz der unterschiedlichen Normalpreisanbieter kann so gegenwärtig — wenigstens, was Leute ohne Auto anbelangt — nicht die Rede sein. Der Ruf nach Billiganbietern für alle wird angesichts dieser Handelsmisere immer lauter. Die Bevölkerung klagt. Der Magistrat ist ratlos. Die Treuhand beteuert stur, für Strukturprobleme nun wirklich nicht zuständig zu sein.
Der einzige Ausweg sind die wellblechernen Zelt-Supermärkte, die die festgefrorenen Handelsstrukturen in Halle und den übrigen Städten der Region schmelzen sollen.
Billiganbieter alle Couleur gehörten zu den ersten, die im Osten zu investieren begannen. Goldgräber der ersten Stunde, die einerseits kräftig Kasse, andererseits aber auch noch einen außerordentlich guten Eindruck machten.
Die Praktiken, derer sich die Discountketten dabei bedienen, sind der Größe und Gewichtigkeit des zu erschließenden Marktes angemessen. In Halle ist der sogenannte „Hit“-Markt inzwischen aus dem Provisorium der ersten Zeit auf eine Freifläche mitten in der dichtbewohnten Neustadt gezogen, ist mittelständisch und erfolgreich. Abgesehen von den Anwohnern, die sich seit Monaten vergeblich über andauernden Lärm durch Liefer- und Kundenfahrzeuge, über verstopfte Straßen und zerfahrene Grünanlagen, über Abfallberge und überfüllte Mülltonnen beschweren, finden alle „Hit“ gut. Auf fünftausend Quadratmetern präsentiert die Tochter einer niedersächsischen Billigdynastie eine täglich von sechs-, siebentausend Hallensern besuchte Dauerausstellung in Sachen Verpackung. Büchsenpyramiden, soweit das Auge reicht. Tetraverpackt oder doppelt und dreifach in Folien eingeschweißt, eine Orgie in überflüssigem Müll. Der Bürger spart und ist dankbar, die Grüne Liga und andere starten mal wieder demonstrative Auspackaktionen.
Der geplagte Hallenser nimmt das gern hin. Bei all den Sorgen, die er so hat.
Das Geschäft läuft prima, die Leute kaufen. Jens Wibbel, Juniorchef bei „Hit“, ist zufrieden. Ganz im Gegensatz zu Vera Barthel. Sie ist eine von Wibbels weit über hundert Verkäuferinnen. Wie die Mehrzahl ihrer Kolleginnen pauschal eingestellt, hat sie statt eines einklagbaren Arbeitsvertrages nur die angenehme Erinnerung an einen feuchten Händedruck des Chefs. Wenn Vera Barthel krank wird, dann wird sie krank. Ihr Problem. Wenn sie Urlaub nehmen möchte, dann kann sie das. Unbezahlt natürlich.
Wenn sie arbeitet, verdient die ehemalige Sachbearbeiterin des örtlichen Kraftverkehrsunternehmens vergleichsweise prächtig. Um die 1.200 Mark brutto im Monat. Dafür hat sie sich mit einer 47-Stunden- Woche einverstanden erklärt, dafür schluckt sie auch die beinahe täglich geforderten unbezahlten Überstunden. Und die Arbeitsbedingungen, die „wie in einem Bergwerk“ seien oder doch jedenfalls nicht viel besser. Es ist immer kalt im „Hit“- Markt. Zwei, drei Grad wärmer als draußen allenfalls, die Heizlüfter, die überall aufgestellt sind, werden nie betrieben. Wibbel will sparen. Wo der Trend im wohlhabenden Westen längst mehr und mehr in Richtung Markenprodukt, Bio-Anbau und teure Qualitätsware geht, ist bei dem auf absehbare Zeit niedrigeren Lohn- und Einkommensniveau im Osten eine langanhaltende Konjunktur für die Discounter absehbar. Die wird sich selbst angesichts der bescheidenen Bedürfnisse dann wohl doch nicht in Zelten und Baracken bewältigen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen