: Darfs nochn büschen mehr sein im 'Viertel'?
■ „Drogen im Viertel — was tun?“ Grüne luden ein, und viele kamen / Hauen und Stechen blieb aus
„Typisch bremisch“ fand, mutmaßlich anerkennend, der Kollege vom Hamburger ZEIT-Magazin die vielfältige Mischung und vor allem den Debatten-Stil der rund 130 Beteiligten, als es am Dienstag abend im Lagerhaus Schildstraße um “Drogen im Viertel — Was tun?“ ging. Für das Viertel hatte er hatte ja recht, für Bremen irrte er vielleicht doch; dazu später.
Klappt in Bremen auch, was im holländischen Groningen längst Erfolg hat? Zu Gespräch statt Grabenkrieg im drogenfolgenbelasteten „Viertel“ hatten die Grünen den Drogenberater Rens Zylstra aus Groningen ins Lagerhaus Schildstraße eingeladen.
Groningen: Dort gab es 1990 nur einen einzigen Drogentoten (in Bremen 70). Wie erträgt man die Szene, wie organisiert man Beratung, Ausstiegshilfe und Methadonvergabe nachbarschaftsverträglich? „Praktisch denken“ empfiehlt Zylstra. Groninger Busse fahren täglich als Methadon-Depots, das verhindert feste Dealer-Treffpunkte und Nachbar-Ärger. In den „Koffieshops“ darf man Haschisch kaufen und auch nehmen — aber wehe, ihr Wirt duldet harte Drogen: „Dann ist sein Laden am nächsten Tag dicht, Tür zu, Bretter davor“, malte Zylstra aus. Experimentierende Jugendliche, die mal Hasch probieren wollen, kommen so nicht zwangsläufig ans harte Drogen-Milieu heran wie bei uns. Gibt es in Grünanlagen und Straßen zu viele dunke Ecken für Heroin-Handel und Prostitution? Lampen anbringen schafft Abhilfe. Beschweren sich Nachbarn über Dreck, Belästigungen im Hausflur, Dealer-Treffs? „Bei uns arbeiten Polizei, Vermieter, Nachbarn und Drogenberater zusammen“, erklärt Zylstra: Bei sechs Anzeigen von Anwohnern kündige die Wohnungsgesellschaft dem Dealer, und spätestens in der neuen Wohnung mahne der dann selbst seine Kunden: „Nur wenn Du Dich benimmst!“ Zylstras Devise: „Überlast“ erkennen und gemeinsam pragmatisch abbauen, bei jeder der beteiligten sozialen Gruppen. In Groningen leistet man sich den Luxus, den - hier gedanklich meist als höchst gewagt geltenden, dort schon jahrelang bereitgestellten — Spritzenraum nicht mehr zu benötigen, weil die Junkies eben nicht obdachlos sind. Verdoppelte, verdreiffachte Strafen für Dealer, aber „das duldsame Gesetz“ für Gebraucher und konzertierte Integrations-Hilfen sind Groninger Richtschnur. Deshalb gibt es Beratung und Hilfe in allen Stadtteilen.
Das war natürlich das Stichwort. Ja Groningen! Aber in Bremen, erbosten sich AnwohnerInnen auf dem Podium und im Saal, hier liegen die obdachlosen Junkies im Rinnstein „und wir üben das Weggucken“, hier beginnt die Prostitution auf dem Spielplatz Gleimstraße schon am Nachmittag, hier kann man gegen die umherliegenden Spritzen kaum ansammeln. Und dann soll immer noch mehr und noch mehr im Viertel angesiedelt werden, jetzt auch noch im Hauptgesundheitsamt! Lächerlich, den Drogenhilfeplan mit dem Zauberwort 'Dezentralisierung' zu spicken und dann nichts als 1,5 Stellen in Bremen-Nord zu schaffen!
Der Gesundheits-Staatsrat Dr. Fritz Dopatka im Publikum durfte Anerkennung für seine Senatorin entgegennehmen („die einzige, die für Methadon gekämpft hat“) und versprach schließlich „einige Mühe“, um die Wochenend-Vergabe von Methadon „möglichst zu dezentralisieren“. Und der Landesdrogenbeauftragte van der Upwich verlangte von seinem Landsmann Zylstra, nicht zu verschweigen, daß auch die Polizei in Holland inzwischen enorm erweiterte Befugnisse hat und nutzt. Ja, „mehr Präsenz“ der Polizei, das wollten die meisten Viertel- BewohnerInnen schon auch gern sehen. Aber bitteschön nicht als „kontraproduktive Rollkommandos“ wie am letzten Wochenende. Die Polizeitrupps hatten statt der Dealer die biertrinkenden Punks erwischt. Dafür war die Zahl der umgetauschten Spritzen mit der Einschüchterungsaktion drastisch zurückgegangen, ergänzte Sabine Michaelers vom „AK Drogen“.
Die 130 Anwesenden saßen und standen auch um 23 Uhr noch dicht gedrängt. Eine bedarfsgerechte Veranstaltungsreihe soll folgen, versprach die Grüne Karoline Linnert. Bilanz: ein wenig abgelassener Dampf, viel Reden und Zuhören, neue Gesichtspunkte, alte Probleme. Das ist vielleicht Viertel-Stil. Ob das auch gesamtbremisch ist, wird vielleicht heute um 17 Uhr die erste Demonstration zum Drogen- Thema in Schwachhausen zeigen: Man gibt sich sehr entschlossen, marschiert vor das sogenannte „Dealerhaus“, aber auch vor „Betreutes Wohnen“ und vor den Beirat. Susanne Paas
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