: Statt Kniefall in die politische Grätsche
■ Thüringer Grüne im Zerreiß-Test
Erfurt. Statt des „Kniefalls“ vor den Bürgerbewegungen und der zeitweisen Aufgabe ihrer Parteistruktur entschlossen sich die Grünen Thüringens am vergangenen Wochenende zu einer politischen Grätsche. Besonders an das NF erging das Angebot, daß die Grünen für ihre gleichberechtigte Zusammenarbeit in einem „Bündnis 90 Thüringen“ Fragen der Satzung, der Programmatik und die Personalplanung autonom vom Bundesvorstand der Partei in Bonn entscheiden. Der Parteistatus solle aber keinesfalls, wie vom Neuen Forum als Bedingung für die Mitgliedschaft im Organisationsverbund „Bündnis 90 Thüringen“ gefordert, aufgegeben werden.
Damit geraten auch die Grünen Thüringens in die Zerreiß-Probe zwischen Partei und Bürgerbewegung, die seit mehr als zehn Jahren die Partei in den Altbundesländern rüttelt. Ein Versuch, die Identität als Bürgerbewegung zu wahren und mit der politischen Pragmatik einer strukturell festgefügten Parteilandschaft zu vereinbaren.
Diese Strukturdebatten stehen bei Bürgerbewegungen früher oder später mit Notwendigkeit auf der Tagesordnung, wenn der Rahmen einer lokalen Initiative gesprengt werden soll. Dann befinden sie sich am Scheideweg zwischen Wählervotum oder außerparlamentarischem Wirken. Vor der Bundestagswahl 1990 waren diese Debatten noch an den ostdeutschen Bewegungen und Initiativen vorbeigegangen. Damals durften sie sich im „Beitrittsgebiet“ auch ohne Parteistatut dem Wähler stellen. Um bei den nächsten Wahlen mitmischen zu können, ist eine Parteistruktur erforderlich, oder sie bleiben draußen und wirken überwiegend außerparlamentarisch. Daß diese Entscheidung in Thüringen nicht leicht ist, zeigen die Mehrheitsverhältnisse im Parlament, die es der Fraktion NF/GR/DJ nur selten ermöglichen, ihre Interessen durchzusetzen. Hier scheint eine Strukturdebatte über „bürgerbewegte“ Politik nur zu verständlich.
Vor dem Hintergrund, sich im Interesse der Bürger zusammenzuschließen, wird das „Bündnis 90 Thüringen“ als Organisationsverband der Bürgerbewegungen angestrebt. Im Gegensatz zur Grünen Partei wollen aber NF und DJ keine Parteien integrieren, um ihre Identität als Bürgerbewegungen zu wahren. Die Thüringer Grünen fürchten, daß nach Verabschiedung eines Thüringer Wahlgesetzes auch die anderen Bewegungen gezwungen sind, eine Partei zu bilden. Mit Sorge sehen die Grünen dieser möglichen Zersplitterung entgegen und versuchen mit ihrem „Angebot“ an das NF — das kommendes Wochenende unter anderem zu dieser Thematik berät — doch noch einen Konsens zu erreichen. Kai Mudra/adn
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