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Ostdeutsche Nostalgie

■ „Es hat sich was verändert“, ZDF, Dienstag, 22.10 Uhr

Wie sieht ein Jahr nach der Währungsunion die Bilanz für die Menschen in den neuen Bundesländern aus? „Es hat sich was verändert.“ Banaler kann man diese Frage nicht beantworten. Eine echte Bilanz wurde im Deutschland-Journal nicht gezogen, stattdessen: beliebige Momentaufnahmen aus dem real existierenden ostdeutschen Kapitalismus im Jahre Eins.

Ein Reisebus nach Paris, eine Rucki-Zucki-Tour für 59 Mark hin und zurück. Die einen wollen sich auf dem Eiffelturm verloben, die anderen wollen einfach nur mal gucken und nachholen, was ihnen vierzig Jahre lang vorenthalten wurde. Der DDR-Bürger, erfahren wir, „war angetreten, die Welt zu verändern, nun will er sie wenigstens erleben“. Honeckers angepaßte Untertanen als gescheiterte Weltverbesserer? Eine ganz neue Interpretation.

Es hätte keinen anderen Weg gegeben, behauptet Lothar de Maizière auch heute noch, als an einem Tag, von einer Minute auf die andere, den Weg von der Plan- zur Marktwirtschaft zu gehen. Und die Massenarbeitslosigkeit, millionenfache Existenzkrise, Suff und Depression? „Wir müssen das Gespräch miteinander suchen“, empfiehlt der Mann mit der Bratsche im pastoralen Tonfall [er nu wieda... — die k.in]. „Wichtig ist“, sagt eine Dame von der Straße, „daß die Leute sich jetzt Mut machen.“ Durchhalteparolen.

Die Welt scheine aus den Fugen geraten, nach dem Rausch nach der Währungsunion mache sich Ernüchterung breit, kommentierte die Sprecherin.

Vier Wochen nach der Währungsunion hätte diese Analyse noch gestimmt. Heute ist dies keine Ernüchterung mehr, sondern längst offene Zukunftsangst, Wut und Enttäuschung bei vielen.

Der ganze Film erschien, als wäre er bereits in den ersten Wochen nach der Währungsunion gedreht worde. Der Autowahn, die Gier nach vollen Schaufenstern, das neue Reiseglück und das Gefühl, nicht mehr Bürger zweiter Klasse zu sein — dies alles gehört der Vergangenheit an, bestimmt längst nicht mehr die aktuelle Gefühlslage in der ehemaligen DDR. Unter dem Druck der Zukunftsangst sind die Chancen und Annehmlichkeiten im Neuen Deutschland an den Rand gespült worden. So war vieles an diesem Film nur noch Nostalgie. Manfred Kriener

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