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Frauenhäuser stellen Rot-Grün auf die Probe

■ Autonome Frauenhäuser von hessischer Landesregierung enttäuscht/ Zufluchtsstätten sind überfüllt, die Situation ist brenzlig

Berlin (taz) — Mehrere Stunden besetzten die Frauen aus dem Frauenhaus das Büro, dann griff der Kasseler Oberbürgermeister Wolfgang Bremeier (SPD) zum Telefon und „organisierte“ drei bis sechs kleinere Wohnungen, die den Besetzerinnen zugesichert wurden. Mit ihrer Aktion wollte das autonome Frauenhaus Kassel Anfang dieser Woche auf die katastrophale Überfüllung der Zufluchtsstätte aufmerksam machen. 60 Frauen und Kinder leben zur Zeit dort — in nur 14 Zimmern. Für alleinstehende Frauen mit Kindern oder gar für Ausländerinnen ist es fast unmöglich geworden, eine Wohnung zu finden. Deshalb fordern die Frauen feste Kontingente bei den Wohnungsbaugesellschaften.

Doch nicht nur Wohnungsnot und Überfüllung machen den Frauen Sorgen. Zugleich zeichnet sich für das Kasseler Frauenhaus und die weiteren 18 autonomen Häuser und Initiativen der erste Clinch mit der neuen Landesregierung und dem Sozialministerium unter Iris Blaul von den Grünen ab. Dabei wird es um die Höhe der Landesmittel gehen, aber auch darum, wie autonom die Frauenhäuser in ihrer Personalpolitk künftig agieren können. Die CDU- Regierung hatte seit 1987 sowohl die Mittel für die Frauenhäuser eingefroren, als auch die Vergaberichtlinien verschärft. So mußten zum Beispiel Mitarbeiterinnen einen formalen Qualifikationsnachweis erbringen, in der Regel als Sozialarbeiterin. Die autonomen Frauen beharren jedoch darauf, daß nicht nur Frauen mit pädagogischer Ausbildung, sondern auch ehemalige Bewohnerinnen oder engagierte Frauen mit anderen Berufsabschlüssen im Frauenhaus arbeiten können. Das Gießener und das Kasseler Frauenhaus hatten die CDU-Richtlinien schließlich nicht unterschrieben und sich fortan mehr schlecht als recht nur noch über kommunale Gelder finanziert. An die neue Regierung richteten die Frauenhäuser jetzt einen umfangreichen Forderungskatalog und verlangten im Hinweis auf rot-grüne „Wahlversprechen“ die „schleunigste“ Änderung der Richtlinien. Im Sozialministerium nimmt Staatssekretärin Brigitte Sellach die Vorwürfe eher gelassen auf. Im Wahlprogramm der Grünen sei zwar eine „ausreichende finanzielle Absicherung ohne inhaltliche Auflagen“ festgeschrieben, aber keineswegs eine schlichte Reaktivierung der ehemaligen Richtlinien. Sellach, die selbst aus der Frauen- und Projekteszene kommt, hat die Kasseler Frauen erst einmal zum Gespräch eingeladen. Angesichts der angespannten Haushaltslage sieht die grüne Politikerin Konflikte über die Höhe der Landesmittel voraus. Bei anderen Punkten ist sie jedoch zuversichtlicher. So will auch sie engagierten Frauen oder ehemaligen Bewohnerinnen die Mitarbeit ermöglichen und dafür entsprechende Kritierien entwickeln. Schwierig sei es allerdings, der Forderung der Frauenhaus-Mitarbeiterinnen nach einer Bezahlung nach dem Bundesangestelltentarif nachzukommen, wenn gleichzeitig formale Qualifiktionsnachweise, die Teil der öffentlichen Tarifverträge sind, abgelehnt werden. Hier müsse nach „alternativen Regelungen“ gesucht werden. Helga Lukoschat

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