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Jugoslawiens Armee besetzt die Grenzen

■ Unklarheit über die Zahl der Opfer/ Slowenien will erst nach Abzug der „Aggressoren“ verhandeln

„Die jugoslawische Volksarmee hat alle Kampfhandlungen eingestellt.“ Dies meldete der slowenische Rundfunk am Freitag nachmittag unter Berufung auf die Bundesregierung in Belgrad. Als Begründung wurde angegeben, daß die jugoslawische Armee bis 15 Uhr die Kontrolle über alle 27 slowenischen Grenzübergänge zurückerobert habe. Noch wenige Stunden zuvor hatten Flugzeuge der Bundesarmee den internationalen Flughafen in Ljubljana-Brnik bombardiert. Dabei wurde ein Hangar in Brand geschossen, die slowenische Bürgerwehr forderte die Touristen, die seit zwei Tagen auf ihre Abreise aus Jugoslawien warten, auf, die Abfertigungshalle zu verlassen. Den Angaben zufolge hatte die Armee den militärischen Teil der Anlage übernommen, während die Slowenen den zivilen Bereich kontrollierten. Bomardiert wurde auch der österreichisch-slowenische Grenzübergang bei Sentilj (Spielfeld), bei fast allen anderen Grenzübergängen zu den Nachbarstaaten Italien, Ungarn und Österreich kam es zu heftigen und immer wieder neu aufflammenden Gefechten. Nach Angaben von Augenzeugen wurden dabei neben Gewehren und Schnellfeuerwaffen auch eine Panzerabwehrrakete und ein Granatwerfer eingesetzt. Etwa 20 Angehörige der Bundesarmee hätten sich den slowenischen Soldaten ergeben. Dutzende von Querschlägern verirrten sich auf österreichisches Staatsgebiet, mehrmals wurde durch Militärflugzeuge österreichischer Luftraum verletzt. Der österreichische Verteidigungsminister Werner Fasslabend ordnete den Einsatz von „Draken“-Kampfflugzeugen zum Schutz des eigenen Hoheitsgebietes an. Weitgehend ruhig war es dagegen in der Hauptstadt Ljubljana selbst. Erst nach Bekanntwerden der kriegerischen Auseinandersetzungen in den anderen Landesteilen wurden bereits abgebaute Barrikaden erneut errichtet. Der Zivilschutz öffnete die Schutzräume der Stadt, nachdem laut Radio Ljubljana die Bundesarmee mit der Besetzung ganz Sloweniens gedroht hatte.

Widersprüchliche Angaben gab es über die Zahl der Opfer, die die Kämpfe in den ersten beiden Tagen forderten. Sloweniens Innenminister Kacin sprach von mindestens zehn Toten und einer unbekannten Zahl von Verwundeten auf seiten der jugoslawischen Armee, die ihrerseits von 4 Toten und 20 Verletzten nur am Donnerstag berichtete. Auf slowenischer Seite wurden seit Beginn der Kämpfe drei Menschen getötet, zwei Mitglieder der Territorialverteidigung und ein Polizist. Zwei österreichischen Pressefotografen starben bei den Kämpfen um den Flugplatz Brnik, ihr Auto wurde von einem Panzer- oder Artilleriegeschoß getroffen. Am Freitag nachmittag schienen zunächst alle Aussichten auf eine politische Vermittlung zwischen den neuen Staaten und der Bundesregierung zerstört. Sloweniens Regierungschef Lojze Peterle lehnte es ab, zu Krisengesprächen mit Ministerpräsident Ante Markovic nach Belgrad zu kommen. „Verhandlungen sind unmöglich, solange die Armee in Slowenien wütet“, lautete die Begründung aus Ljubljana. Damit sind die Fronten zwischen der Zentrale und der abgefallenen Republik festgefahren. Ljubljana verlangt als Voraussetzung für Verhandlungen den Abzug der Armee, Belgrad war zu einer Einstellung der Kämpfe nur bereit, wenn Slowenien seine Unabhängigkeit für drei Monate aussetze. Sloweniens Präsident Milan Kucan bezeichnete das Vorgehen der Bundesarmee als „Okkupation eines Staates durch einen anderen“. Die Zentralregierung in Belgrad sei durch das Wohlwollen des Westens zu dem brutalen Vorgehen „ermutigt worden“. Weiter teilte Kucan mit, daß in den Panzern der Bundesarmee chemische Waffen gefunden worden seien.

Relativ ruhig blieb es in Kroatien. In der Stadt Osijek war in der Nacht zum Freitag Panik ausgebrochen, als die dort stationierten Panzer Autos überrollten, in denen noch Menschen saßen. 17 Einwohner wurden verletzt, aufgebrachte Einwohner bewarfen die Kolonne mit Steinen. afp/dpa

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