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Wo ist da eine "deutsche Revolution"?-betr.: "Vom Ende einer Republik" von Ulrich Hausmann, taz vom 22.6.91

betr.: „Vom Ende einer Republik“ von Ulrich Hausmann,

taz vom 22.6.91

Es steht geschrieben: „Die Bundesrepublik ist tot. Beerdigt wurde sie durch die sogenannte friedliche Revolution in der DDR — die vor allem eine deutsche, und ganz und gar nicht laizistisch-demokratische war.“

Mir scheint da gar Krauses durch den Kopf des Kommentators zu gehen. Satz eins mag richtig sein. Ob der Umbruch in der DDR eine Revolution war, lasse ich dahingestellt. Spätere Historiker werden darüber zu befinden haben. Die besten Bücher über die große Französische Revolution von 1789 bis 1794 sind etwa ein halbes Jahrhundert später erschienen; ich erinnere an Michelet und Mignet. Walter Markow meinte zudem, daß Geschichte ohnehin erst geschrieben werden könne, wenn die Macher und Mittäter nicht mehr leben, folglich nicht mehr eingereifen können.

Bleibt der fragliche Satz „...die vor allem eine deutsche, und ganz und gar nicht laizistisch-demokratische war.“ Der Autor schreibt so wie alle schreiben, die keine Kenntnis haben oder vom Wunschdenken beflügelt sind.

Was deutsch ist, weiß ich auch nicht. Wohl aber weiß ich, was „laizistisch-demokratisch“ ist. Ich hatte die günstige Position als Österreicher, der lange hier lebte, doch nicht gebunden war, als Betrachter von außen zum einen, als Mittäter von innen. Die Bewegung war eine basisdemokratische, seit Beginn der achtziger Jahre, in zunächst einzelnen, dann Hunderten und Tausenden von Friedenskreisen und Ökogruppen. Ich selbst war in einer der größten Ökogruppen seit über zehn Jahren. Deutsch spielte zu keiner Zeit eine Rolle, Demokratie und ökologische Politik um so mehr. Und so ging es bis zu den großen Demonstrationen, der 4.November war ihr Höhepunkt. Demokratie war ihr Inhalt, Wirtschaftsreform und friedlicher Widerstand sowie neuer Umgang mit Natur waren Ziele und Wege.

Wer nach dem 9.November die nationalistischen Losungen herausbrachte, ist inzwischen bekannt — aus „Wir sind das Volk“ ward „Wir sind ein Volk“.

Der Inhalt ward grammatisch, semantisch, ja rhythmisch anders. Über Manipulation. Eingeschleuste Republikaner und hausgemachte Rechtsgruppen montierten die Losungen um, und damit kam das Unglück. Zumindest die ersten Phasen des Umbruchs waren eindeutig demokratisch-laizistisch. Die späten Phasen wurden dann „deutsch“. Besiegelt durch den 18.März, eine nicht mehr aus Kraft und Idee des Landes gemachte Wahl. Jeder weiß, wer den Wahlkampf führte. Mit Papier wurden die Gräben zeitweilig zugeschüttet und mit Wortsalat. Der Salat ist längst Humus für anderes, das Papier verweht oder Zellulose. Die Gräben so tief wie nie. Es stehen sich Seiten gegenüber. Wo ist da eine „deutsche Revolution“, Herr Hausmann? Prof.Dr.phil.habil Jochanan Christoph Trilse-Finkelnstein, (Ost-)Berin

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