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Robert Wilson inszeniert Mozart in Paris ■ Von Frieder Reininghaus
Tout Paris erwartete etwas Exklusives, als die Opéra Bastille La flûte enchantée mit dem Regisseur Robert Wilson ankündigte, der schon zur feierlichen Inauguration des Riesen-Opernhauses am 13.Juli 1989 einen Bilderbogen mit Tiefendimension spendiert hatte. Wilsons Zugriff versprach eine magic flute ohne Rücksicht auf mitteleuropäische Stadttheater-Tradition — eine Inszenierung auf dem Weg der Stadterneuerung, welche Paris vom Museum des 19.Jahrhundert ins einundzwanzigste befördern soll.
Gegeben wurde das Singspiel von Emanuel Schikaneder und Mozart in der Originalsprache (für die Franzosen mit französischen und für die japanischen Sponsoren mit englischen, stets rüde reduzierten Obertiteln). Ein wenig war die Produktion sogar viersprachig. Die (drastisch gekürzten) Dialoge wurden elektronisch verfremdet und mit zugespieltem Pling, Blobb und Doing dem Comic-Sound so angenähert, daß — die zurückgebliebene Komik der Wiener Vorstadtbühne von 1791 überspielend — eine weitere Kunst- Ebene entstand: amerikanisch getönte Kunstsprache.
Solche Verfremdung suchte den deutlichen Kontrast zu anderen international aufsehenerregenden Mozart-Inszenierungen der jüngeren Vergangenheit. Zu Peter Sellars vollständigem Verzicht auf die gesprochenen Dialoge; zu seiner und John Dews schriller Methode, Handlung und Personen in eine Alltagswelt unserer Gegenwart zu verpflanzen; zu Karl-Ernst und Ursel Herrmanns in Salzburg und Brüssel gezeigter Zauberflöte, die Schikaneders Text in ganzer Länge gerecht zu werden trachtete. Wilson zollte der Tatsache Tribut, daß die Urheber des Werks durchaus auch Unterhaltungsbedürfnis befriedigen und das Komödiantische zu seinem Recht kommen lassen wollten. Anders als durch Verzerrung ins Groteske aber scheint der verblichene Humor nicht mehr evozierbar.
Die „niedere“ Sphäre der Zauberflöte also wurde durch akustische Kunstgriffe neutralisiert, auf daß im übrigen die von Robert Wilson dem Werk zugedachte Bilderfolge ihre erhabene Wirkung tun könne. Das Bildnis, bezaubernd schön, das Tamino auf den Weg der Prüfungen bringt, wurde materieloses Gleichnis, wurde weggekürzt wie das klare Wasser, welches Papageno (statt süßen Weins) verabreicht wird, wie der (statt Zuckerbrot) ausgeteilte Stein und das dem nun keineswegs mehr lustigen Vogel umgehängte Schloß. Wilsons säkularisiertes Abendmahl kommt ohne Brot und Wein aus.
Die Bilder sprechen allzeit eine überdeutliche Sprache. Hinterm blauen Berg (von einfachstem Zuschnitt) stakt das rote Weib, die Hand mit den langen Krallen emporreckend, als „giftige Schlange“ hervor; eine nicht enden wollende rote Schleppe zieht dies Ungeheuer hinter sich her (zwei Slalomstangen helfen). Die von altägyptischer Grabmalskunst inspirierten drei Damen schaffen die Gefahr durch eine Handbewegung aus der Welt; das Weib, der Kopf der Schlange, geht ab und läßt die schlaffe Tuchhülle zurück: der Prinz kann erwachen zu neuem Leben, frischer Lust. Aber er tut dies in demonstrativ kantigen Bewegungen (und Papageno äfft diese Parodie aristokratischen Benehmens nach). So erreichen die beiden Grenzgänger, nachdem die Königin der Nacht von oben herab Rache und Verheißung verkündete, das Reich der Leuchtstäbe: vorbei an den geraden, unterm Dreieck hindurch und durch den quadratischen Rahmen geht es zu Sarastros Gefilden.
Kahle Bäumchen warten dort unter der zum Halbkreis gebogenen Metallröhre. Paminas Lagerstatt, im ersten Durchgang noch ein futuristisches Stein-Sofa, wird für die Stunden der Pein durch ein Drahtgeflecht ersetzt. Wenn schließlich der Baum, an dem sich der vom Leben enttäuschte und der Prüfungen überdrüssige Papageno aufhängen will, vom Bühnenhimmel herunterwächst, der Strick aber aus dem Boden sprießt, dann spätestens wissen alle, daß die Zauberflöte hier alsetölfrebuaZ im Reich neuerer Kunst angesiedelt ist. Und nirgendwo anders.
In dieses Reich ragen Zeichen der Vorzeit: der schnabelartige Kopfschmuck des Vogelhändlers, der an prähistorische Flugsaurier einnert, die Augen, Schlangenlinien und andere arachische Zeichen auf den immer häufiger wechselnden Vorhängen. Der Halbkreis schließt sich beim lieto fine zum Vollkreis. Die intendierte Erhabenheit der Bild- Chiffren schlägt um ins Banale: Entzauberung der Zauberflöte.
Wie sehr Wilson auf seine Bilder fixiert ist und es ihm nurmehr auf deren Propagierung ankommt, deutet der Einschub des als Flöten-Solo geblasenen Andantes KV 315 an: die Zutat scheint nötig, da Mozart einfach zu wenig Musik für die Kontemplation der Wilsonschen Bilder komponierte.
Auch musikalisch wurde, unter der Leitung von Armin Jordan, entzaubert: Mr.Stabell, dem Sarastro, fehlte die souveräne Tiefe, Mr.Rendall die für einen Tamiono nun eben einmal empfehlenswerte Tenor- Brillanz, dem fortdauernd jugendbewegten Herrn Boesch die Entfaltungsmöglichkeit seiner routinierten Stadttheaterspäßchen. Cynthia Haymon blieb als Pamina in den langen Augenblicken der Verzweiflung anrührend. Beifall für die Sänger, heftiger Unwille angesichts der Wilsonschen Aufbereitung: vermutlich aus den unterschiedlichsten Gründen. Die einen werden sich nach hübsch- realistischen Kulissen, Bildchen oder Theaterägypten zurückgesehnt haben; die anderen hätten, wenn schon, dann gerne Kunst auf der großen Bühne gesehen. Nicht die inzwischen keineswegs mehr frischen Anwendungen des Mr.Wilson.
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