So jung kommen wir nicht mehr zusammen!

■ Das »Rock Hard«-Festival in Weißensee lockt mit Fragen wie: Hasse noch'n Bier? Wer spielt'n da?

Man muß sich wohl oder übel beeilen — nicht nur mit dem Erreichen des voraussichtlich ohnmächtig überfüllten Areals —, beginnen die Vorstellungen doch bereits jeweils um 14.30 Uhr. Aber auch mit dem Zuhören sollte man sich außerordentlich beeilen — mitten im Joint ist man auf der Bühne bereits zwei Bands weiter. Jeder der insgesamt einundzwanzig Bands steht, um genau zu sein, eine halbe Stunde zu, das Publikum irgendwie auf sich aufmerksam zu machen und zur Raserei zu bringen. Na gut, wird es wieder eins von diesen Ereignissen: Ey, hasse nochn Bier, und sachma, weisse wer da spielt? Wie spät is es? Wo is der Spielplan? Wer is als nächstes dran? Am Bierstand stehen Kindl und Schultheiss zur Auswahl, dann weiß man wieder nicht, was man nehmen soll, Stoß von hinten in die Rippen: Ey Alter — Schulli. Und überhaupt, bau noch einen. Kennse die, die da spielen?

Wollen wir uns also bemühen, zumindest ein paar wenige klärende Worte über diesen Wust an hart rockendem Zusammenrock zu verlieren. Beide Tage starten mit Set 1 und Set 2, was immer das sein mag, wahrscheinlich creeping nobodies, woher auch immer.

Psychotic Waltz aus San Diego, der angeblich schönsten Stadt Amerikas, existieren seit Ende 86. Ihr Debutalbum entstand in den folgenden drei Jahren, in diesem Frühjahr erschien »A Social Grace« dann endlich auch hier in Deutschland auf Rising Sun Productions. Metal Hammer spricht von progressivem Metal Rock zwischen Queensryche und Jethro Tull, Fates Warning und Watchtower.

So, nun hurtig noch ein Bier gekauft; auf eine Viertelstunde Umbaupause folgen Paradise Lost, deren Gothic Doom Metal uns vom Ecstasy-Auftritt vor zwei Monaten noch in den Ohren dröhnt. Der 19jährige Sänger Nick Holmes läßt sich von seiner Mama noch die Socken waschen, aber das ist in Halifax so üblich. Sie liefern den Soundtrack zu den schwärzesten Edgar-Allen-Poe-Texten.

Fließender Übergang zu Morgoth, der Band, die Slayers' Innereien zum zweiten Frühstück essen würde und in den legendären »Morrisound Studios«, dem Mekka der Metalgrindcoreler all over the world, ihre zweite EP aufnahmen.

Zeit für'n Steinhäger, es folgen die alten Schweden von Entombed; die amerikanische Gazette Metal Forces gratuliert dem Label Earache zur Entdeckung der ultimativen Band des Jahres 1990. Im März erschien eine neue Maxi, der Sommer wird uns ihr zweites Album bringen (is jetzt Sommer? Also jetzt). Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben werden Morbid Angel. Extrem laut, extrem böse, extrem morbide. Die letzten vier Songs auf »Blessed Are The Sick« sind das definitive Glubschen des Augapfelweiß', Superlativ an Besessenheit.

Den splashenden Abschluß des Freitagabend machen ohne Zweifel G.W.A.R., Mythen-Monster-Mutationen-mäßiges Abspritzen in jeder Hinsicht, der Splatterfilm, nach dem man keine weitere Show überleben wird. Deswegen muß jetzt nach Hause gegangen und sich für Samstag ausgenüchtert werden.

Es erwarten uns Set 1 und Set 2, wie gesagt, diese wer-auch-immer-woher-auch- immer, außerdem zur Abwechslung mal lauwarmes Kindl, und weil die Meteorologie sich auf stahlblaustrahlende Hitze geeinigt hat, wird der erste Joint aus kreislauftechnischen Gründen noch abgelehnt. Der Anblick nackter Brüste und schwitzender Kniekehlen verpaßt den Freaky Fuckin' Weirdoz einen Hauch von Englischer-Garten-Heimatgefühlen. Sie selbst können nichts dafür, ausgerechnet in Bayern vom Himmel gefallen zu sein, außerirdischen Wesen darf man nicht übelnehmen, daß sie sich auf unserem unbedeutenden Planeten nicht auskennen. Gut zurechtgefunden haben sie sich dennoch binnen kürzester Zeit, die vier Crackheads kreierten eine Art Schmuddelkindervariante schwermetallischrockenden HipHop's la 24-7 Spyz oder Urban Dance Squad; »Weirdelic« konnten sie bisher am Betäubungsmittelgesetz vorbeischmuggeln.

Mit uns allen freuen sich die Emils über die Wiedervereinigung und deren Folgen, das machen sie mit viel Hurra und »Das Schlimmste was Europa jüngst erfahren hat, das Schlimmste was die Welt je ertragen hat« deutlich. »Wer frißt wen« entstand letztes Jahr, unter dem tiefen Eindruck aktueller Deutschtümelei, neugeschlossener Freundschaften (»Ich hasse dich«) und dem Revue-passieren-lassen alter und ältester Fotoalben (sie müssen mal nette Jungs gewesen sein — vor der Schule immer frühstücken und sich den Stufenschnitt rauswachsen lassen). Jeder kennt ihr Label »We Bite«, jeder weiß, daß Emils der Umkehrschluß ist von Slime, die wiederum auch jeder kennt, klar ist, daß sie Hardcore mögen und deshalb auch machen. Punk's Not Dead, es wird gepoget, was die müden, altgewordenen Lungen noch hergeben, musikalisch untermalt wird die Turnstunde von Discharge. (Jetzt schnell noch ein Bier)

Napalm Death hingegen werden es schwer haben. In mühevoller Kleinarbeit haben sie sich mittlerweile derart aus der Geheimtip-Ecke herausgeschuftet, daß sie nicht mehr so recht in die noch vor Jahresfrist so ungemütliche Outsider-Rolle gemeinfieser Düsterdrohekel passen — für den ganz großen Deal reicht es aber auch noch nicht. Könnte sein, daß sie wenigstens die Bühne ordentlich mit Gasbomben einsauen. oooooooooooooooooooooooooo(jetzt die Steigerung)OOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOO(und noch mehr)HHHHHHHHH-dödödödidödödödidödödididi... Das war Nelly The Elephant. Bisher steht noch nicht gaanz fest, ob sie auftreten — aber die Toy Dolls müssen einfach kommen, schon alleine, weil wir beide sie letztens verpaßt haben — und jeder von ihnen schwärmt. Außerdem ist es noch nicht spät genug für den Supermegaheadlinerüberstaract. Deren neuestes Geschenk an die Welt sind 17 prägnante Punkrockschlager in melodiöser Hardcoremanier. Mit »Suffer« 1988 und »No Control« 1989 manifestierten sie (nach immerhin zehnjährigem Bestehen) ihren Ruf als die klassischen Kreuzüberveteranen, nun gibt es »Against The Grain« und damit endlich wieder Bad Religion. Danach ist man zu aufgewühlt, um von dannen zu eilen, deswegen guckt man bis in die frühen Morgenstunden Walt-Disney-Filme. Erika und Peter K.

Freitag und Samstag ab 14.30 Uhr in der Freilichtbühne Weißensee. Vollständige Besetzung siehe Termine!