„Wie eine Pille gegen die Sucht“

■ Debatte über ein Jahr Methadonvergabe / Suchttherapie und Begleitung fehlen

Die Methadonbehandlung ist „nicht das goldene Kalb“, ist „nur ein Vehikel“ und „kein Patentrezept“, mit dem Drogenabhängige von der Sucht loskommen können. Die Diskussion über Drogentote wegen einer recht fragwürdigen Statistik mit der Methadonvergabe zu verknüpfen, sei „fahrlässig“ und „unseriös“, Methadon „wie eine Pille gegen Sucht“ zu verabreichen, ohne deren Ursachen anzugehen, sei völlig unzureichend. Zu diesem Ergebnis kam eine Podiumsdiskussion im Konsul-Hackfeld-Haus, mit der die kritischen Ärzte der „Liste Gesundheit“ am Mittwoch abend das Bremer Methadon-Modell nach über einem Jahr Laufzeit bilanzierten.

„Wir sind mit den Patientenzahlen überfordert“, sagte Dr. Peter Heinen, einer der Ärzte, die jahrelang auf ein Methadonprogramm gedrängt hatten und von Anfang an bereit waren, ihren drogenabhängigen Patienten das Ersatzopiat zu verschreiben. Wie alle Mediziner auf dem Podium bescheinigte Heinen dem Ersatzstoff die medizinisch erfolgreiche Stabilisierung der Junkies: Ab

hier bitte die gefaxte

Karikatur

szesse heilen ab, die Leber erholt sich, bei Aidskranken wird das Immunsystem gestärkt.

Doch nach dieser Phase der gesundheitlichen Stabilisierung, die Georg Kramann aus der medizinischen Ambulanz der drobs als „Phase der Euphorie“ bezeichnete, kommen Ängste, Perspektivlosigkeit, manchmal auch schizoide Verhalten. Dann sei psychosoziale bis psychotherapeutische Behandlung nötig. Nur: niedergelassene Therapeuten und Psychiater wollen mit Suchtpatienten nichts zu tun haben, berichteten die anwesenden Ärzte übereinstimmend. Mit den psychologischen Problemen, die zur Sucht führten, bleiben die Abhängigen allein. Eine Fachdebatte über tiefenpsychologische Probleme von Sucht findet nicht statt.

Auch Wohnung, Arbeit, soziale Bezüge könnten die Ärzte ihren Patienten nicht vermitteln, betonte Heinen. Zumal sich 100 der zur Zeit 250 Methadonpatienten auf nur drei Arztpraxen (einschließlich seiner eigenen) verteilen. Damit relativiert sich die Angabe der Gesundheitsbehörde, 40 Ärzte seien mittler

weile bereit, zu substituieren, auf eine „Belastung“ von sonst nur fünf Abhängigen pro Praxis.

Für diese Klientel hat der Arzt indes einen immensen Verwaltungsaufwand zu betreiben: Anträge auf Kostenübernahme an Krankenkassen (die in der Regel noch immer nicht zahlen), an die Sozialämter, die das tägliche Methadon dann finanzieren müssen, und pro Patient außerdem täglich je ein Rezept für den „Schluck“ — „das grenzt an Strafarbeit“, so Heinen.

Renate Knapp, als Sozialarbeiterin von substituierenden Ärzten im Viertel zur Betreuung ihrer Patienten engagiert, kritisierte an der Bremer Methadonvergabe vor allem, daß nicht alle ausstiegswilligen Junkies damit versorgt würden und daß diejenigen, die in den Genuß der Medizin kämen, immer weiter in die Szene gezwungen würden: Zur Drogenberatung, in Übernachtungsmöglichkeiten mit aktiven Fixern, ins Hauptgesundheitsamt am Wochenende. Außerdem müßten sie neben ihrer Schuldenregulierung noch durchschnittlich 100 Mark Rezeptgebühren im Monat tragen.

Auch sie bemängelte fehlende dezentrale Freizeit- und Therapieangebote, und die mangelnde Zahl psychosozialer BetreuerInnen. Allein betreue sie 20 Patienten, berichtete eine Sozialarbeiterin. Ein Zehn- bis Zwölfstundentag sei die Folge. Und dabei sei Krisenintervention, bei der auf weiten Gebieten mit anderen Institutionen gleichzeitig gehandelt werden müsse, kaum möglich. Als schwieriges Problem schilderten Ärzte und Betroffene den weit verbreiteten und wegen der hohen Dosis gefährlichen Beigebrauch von Schlaftabletten und Barbituraten. Zwei der Bremer Methadonpatienten seien daran gestorben. „Beigebrauch läßt sich nur durch gute psychosoziale Betreuung abbauen“, betonte Dr. Heinen.

Gerd Schöfer, der als zuständiger Mediziner der Gesundheitsbehörde die Bremer Methadonpolitik vertrat, gestand dann auch ein, daß hinter der Vergabepraxis „die anderen Systeme hinterherhinken.“ Psychosoziale Betreuung sei allerdings nur schwer vorzuprogrammieren: „Sie kann, fallbezogen, neben Arbeit, Wohnung, Therapie und dem Aufbau von Beziehungen etwas zum Weg aus dem Elend beitragen.“

Schöfer ist Vorsitzender der gemeinsamen Kommission, die über die Behandlung eines Drogenabhängigen mit Methadon entscheidet, sofern sie nicht medizinisch indiziert ist (bei Aids, Schwangerschaft etc.). Er schraubte die öffentlich immer wieder genannte Zahl der Methadonpatienten zurück: Nicht 300, sondern 250 seien es: Viele seien bereits wieder ausgestiegen. Von den 250 seien 101 medizinisch bedingt und damit ohne die Kommission ans Methadon gekommen, wie es seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs im Mai in der gesamten Bundesrepublik möglich sei. „Methadon kann auch ohne andere Hilfe schon Hilfe sein“, meinte Schöfer. Es steigert die Lebenserwartung der Junkies erheblich. ra