piwik no script img

Meßbares Fernsehglück im Osten

Seit 1. Juli berichtet die AGF-Fernsehforschung aus den neuen Ländern  ■ Von Thomas Simeon

Um das Goldene Kalb Einschaltquote dreht sich alles beim Fernsehen; der Programmdirektor ist ihr Prophet, die Fernsehforschung ihr Techniker. Nach ihrem Selbstverständnis messen die Feinmechaniker der Einschaltquote heute so präzise wie „eine Quarz- oder Atomuhr“. Und so verwundert es nicht, daß die kontinuierliche Fernsehforschung nach einjähriger Vorbereitungszeit ihre Uhren nun auch in den neuen Bundesländern flächendeckend verteilt hat. Ab 1. Juli ist Deutschland meßtechnisch vereint.

Jeder Prozentpunkt mehr in der Zuschauergunst bedeutet nicht nur für die privaten Anbieter bares Geld in der Kasse. Im Fernsehgeschäft gilt die simple ökonomische Gleichung: mehr eingeschaltete Geräte gleich höhere Einnahmen aus den Werbespots gleich schwarze statt rote Zahlen. Deshalb der Poker zwischen UFA (RTLplus) und Kirch (Sat.1) mit astronomischen Summen um die attraktiven Rechte an der Bundesliga. Bei Preisen von 600 Millionen für fünf Jahre mußten ARD und ZDF aus der ersten Reihe in die Holzsitze des dritten Rangs wechseln.

Früher buchten die Werbeagenturen blind alle erreichbaren Zeiten im klassischen Werbefernsehen zwischen 18 und 20 Uhr, jetzt hat vor allem die ARD mit Einnahmenverlusten aus der Werbung bis zu 20 Prozent zu kämpfen. Höhere TV-Gebühren und Werbung nach Acht sollen die Defizite ausgleichen.

Hoffnung bietet der Markt im Osten, wo erstaunlichweise fast zwei Drittel der Bevölkerung an die Objektivität des Fernsehens glauben, während im Westen das Image des Fernsehens im Trend gegen Null tendiert. Mit der alten Fersehforschung der DDR, die mit abenteuerlichen Methoden ihre Zahlen erfragte, um sie dann handgezählt in Panzerschränken verschwinden zu lassen, war für westliche Ansprüche an die Meßinstrumente kein Staat mehr in der geeinten Republik zu machen. Deshalb hat die Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung (GfK) aus Nürnberg, Deutschlands größtes Marktforschungsinstitut, ihr ausgetüfteltes System modifiziert auf die neuen Länder übertragen. Seit 1985 beforscht sie im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung, einem Zusammenschluß von ARD bis Tele5, den bundesdeutschen Fernsehzuschauer. Knapp dreitausend Haushalte mit rund 7.000 Personen rapportieren repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ihr Verhalten im magischen Dreieck zwischen Sofa, Glotze und Fernbedienung. Für eine kleine Anerkennung, Incentive nennt sich das in Neudeutsch, lassen sie sich ein Modem einbauen, das im Halb-Minuten-Takt das eingeschaltete Programm, jeden Kanalwechsel oder die Nutzung für Videomitschnitte aufzeichnet. Erstaunlicherweise drücken die Testpersonen auch brav auf einer zweiten Fernbedienung, welches Familienmitglied anwesend ist oder wer den Raum verläßt. Nachts werden die Daten ungestört telefonisch aus dem Telecontroll-Gerät abgerufen, durch den Zentralrechner geschickt und landen bereits am nächsten Vormittag als „Tele-Quick“ bei der interessierten Öffentlichkeit. Auf die Stelle hinterm Komma genau entsteht so ein relativ verläßliches Bild des Zuschauerverhaltens.

Im Osten war der Aufbau eines solchen Panels schwieriger. Nach zwei ausführlichen Vorstudien konnte die GfK 1.100 Haushalte anwerben, die geographisch so verteilt sind, daß selbst Aussagen über einzelne Bundesländer möglich werden. Aufgrund der geringen Telefondichte werden allerdings die Daten der neuen Bundesbürger wöchentlich auf Chipkarten eingelesen und dann per Post zurückgeschickt. Aus den Informationen lassen sich Reichweiten, Sehdauer und Fernsehgewohnheiten der unterschiedlichsten sozialen Gruppen errechnen.

Eine kleine Überraschung brachten die ersten, vorläufigen Ergebnisse aus der letzten Juniwoche: ARD und ZDF sind nicht so beliebt wie im Westen, ihr Marktanteil liegt bei knapp 40 Prozent. Dafür sind die Privaten trotz wesentlich schlechterer Empfangsmöglichkeiten, bei den Ost-Sehern hoch geschätzt (Marktanteil knapp 30 Prozent). Bereits 15 Prozent der Ost-Haushalte haben sich eine Satellitenschüssel für teures Geld montieren lassen. Nur die DFF- Länderkette, anfänglich gut im Rennen, ist auf 12 Prozent geschrumpft. Die Abwicklung in Adlershof scheint sich bemerkbar zu machen. Und: Die Ost-Bürger sehen länger fern als ihre West-Kollegen. Ob Greis oder Fernsehverweigerer, der deutsche Michel-Ost verbringt im Durchschnitt knapp drei Stunden vor dem Fernseher, während Michel- West mit einer halben Stunden weniger pro Tag auskommt. Das liegt besonders an den Ost-Jugendlichen zwischen 14 und 29 Jahren, die im Gegensatz zu ihren relativ renitenten West-Brüdern täglich mehr als zwei Stunden vor der Glotze hocken. Doch bei allen Unterschieden: Die Vereinigung im Fernsehverhalten zeichnet sich ab.

Gottseidank oder leider ermittelt die GfK weder in West noch in Ost, wie das Programm gefallen hat, wer schläft, strickt oder sich die Nägel feilt, während der Apparat als lebende Tapete vor sich hin brummt. Das würde die feinmechanische Arbeit der GfK und den Quoten-Erfolg der Programmacher stark relativieren. Aber, was nicht ist, kann ja mit deutscher Gründlichkeit noch werden. Die Werbewirtschaft interessiert sich brennend dafür; dem Fersehzuschauer kann es egal sein. Die Verfeinerung der quantitativen Forschung wird die Qualität der Angebote nicht heben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen