: ZWISCHEN DEN RILLEN
■ Eine Auseinandersetzung zwischen Körper und Seele - der Deutsche Rock
Was macht die Rockprovinz Germany? Tritt sie dieses Jahr endlich aus ihrem Schattendasein heraus und findet zum Standard einer x-beliebigen Brit-Garagen- oder US-Landscheunenband?
Hält man die während der letzten Wochen in lockerer Folge bei mir eingegangenen Plattenwerke für repräsentativ, so muß die Antwort lauten: leider noch lange nicht. „Terry Hoax“ aus Hannover zum Beispiel geben sich alle Mühe, „internationales“ Produktionsformat hinzukriegen. Irgendein Talentscout muß sie von der Live-Bühne weg für die Hamburger Metronome verpflichtet haben, und sowas gibt natürlich Auftrieb. Doch was passiert dort mit dem Talentpotential? Flugs gerät es unter die Fittiche des U2-Produzenten Mark Wallis, den die Firma mit der „Überarbeitung“ der Songs beauftragt hat. Das Ergebnis klingt dann genau so: im Grunde sympatischer Provinz-Sixties-Pop, allerdings rabenväterlich flügelgestutzt und zurechtgetrimmt auf irgendein sofort erkennbares und deshalb gerade undefinierbares Etwas, das wie „die deutsche Antwort auf U2“ klingen soll und im Info mit abstoßenden Vokabeln wie „mitreißend-kraftvoller Musik-Cocktail“ angepriesen wird. Balladen folgen auf „zünftige“ Rocker, die wiederum von Balladen abgelöst werden. Wahrscheinlich sind so die Chancen, hierzulande auf ein paar tausend verkaufte Exemplare zu kommen, noch am größten, und doch frage ich mich unbelehrbar und hartnäckig: Wer will sowas, wer braucht sowas?
Ähnlich gelagert scheint mir der Fall bei „Heinrich Beats The Drum“ zu sein, nur daß das Münchner sind, die noch beim „alternativen“ Vertrieb (Semaphore) unterzeichnet haben und mit vergleichsweise geringem Budget auf die „große“ Produktion aus sind. Die Platte strahlt Münchner Weltläufigkeit aus, kokettiert ein bißchen mit dem „Heinrich“ im Namen, dem vieldeutigen LP-Titel (Forever in the dust) und dem Entdecktwerdenwollen durch Musikredakteure. Sie hat „schöne“ Melodien und ist deshalb irgendwie gut, klingt aber eben immer nur nach „irgendwie“: solide Musik fürs gute Taschengeld — alles „geht in Ordnung — sowieso — genau“ (Eckhard Henscheid) —, doch die Lücke, in die das vorstoßen will, ist bloß „Genuß ohne Reue“ und entspricht noch nicht einmal dem Rauschmoment eines oder mehrerer Humpen Maisel's Dampf-Weizen, von denen man nachher einen Kater kriegt.
Richtige Nerver dagegen sind die Kissin Cousins aus Karlsruhe. Sie nennen mit Sicherheit die frühen Ton, Steine, Scherben-Platten ihr eigen, haben so ein spezielles Hausbesetzertimbre in der Stimme ihres Sängers Thorsten Neu und spätestens nach drei Stücken möchte man sie an den nächstgelegenen Baum fesseln wie Troubadix. „Mauer an Mauer, Stahl an Stahl, Blechnapf und Besteck — Marie, Marie, deine Pflaume, hängt sie noch am Pflaumenbaume?“ — das ist doch krank, das ist doch daneben, das sind doch Ausgeburten eines ewig pubertierenden Möchtegern-Lyriker-Gehirns. Schlimmer noch: Das ist doch irgendwie ... „sexistisch“ (???). Und trotzdem: Dieses Vor-keiner-Peinlichkeit-Zurückschrecken, dieses Suhlen in den Abfällen des Deutschunterrichts, dieses Stottern, Rufen, Fragen, Stöhnen — im Grunde sinnsuchend und sublimationswillig, doch ohne Ansatzpunkt in den Identifikationsangeboten der letzten fünf Jahre: das schindet eben immerhin Sympathiepunkte. Da wird gymnasial gegeigt (die Geigerin hört auf den schönen Namen Heike Wendelin), brutalistisch gerockt und schwer verworfen getrommelt, wenn's sein muß auch im schrägen Takt. Man meint, noch einmal den Stoff um die Ohren gehauen zu bekommen, aus dem die Jugend gemacht ist. Und auch wenn der Stoff tagesordnungsgemäß jung und dämlich ist — rein hefemäßig gesehen ist ein Veteran wie Rio Reiser da mindestens seit einem Dezennium außen vor. Die Jugend, sofern sie zornt und dichtet, hat eben irgendwie immer recht.
Außer vielleicht, man heißt Ingo Schmoll, ist Moderator bei RTL und wurde zu früh mit zu vielen Wassern gewaschen. Das geht dann nie mehr ganz raus. „Non Art Art“ heißt das Band- projekt, das Schmoll zusammen mit dem Münchner Fredrik Forsblad aus der Taufe gehoben hat, nachdem die beiden im Anschluß an eine Ausgabe des Jugendmagazins Ragazzi spontan eine seltene gemeinsame Neigung herausgefunden hatten: die Vorliebe für Beatles, Who und andre obksure Sechziger-Jahre-Bands. Ebenso spontan wurden Nägel mit Köpfen gemacht und spontan eine Maxi produziert. Doch trotz des Hauchs von Dada im Bandnamen, trotz des Liebäugelns mit der Idee, als unbekannte Gruppe nochmal spontan ganz „von unten“ anzufangen und trotz des lennonesken Single-Titels How you won the war bleiben Schmoll & Co. ohne Biß. Nett-belanglose Beatles-Nachdichtungen mit der leicht streberhaften Ausstrahlung von Kinderstars.
Etwas zwischen den Stühlen sitzen „Eight Dayz“, die von Rough Trade als deutsche Nachwuchshoffnung aufgebaut werden. Sie haben einen Frontman namens Claus Grabke, der Skateboard-Profi und gleichzeitig Vegetarier ist, wissen sich schick anzuziehen (Kapuzenpullis unter der Lederjacke, im Ensemble gern von oben und mit Froschaugenobjektiv fotografiert), buhlen mit dem „Z“ von „Dayz“ um Street Credibility, wollen aber verständlicherweise nicht in den großen Zeitgeist-Pool hineingeschmissen werden. Auf der einen Seite glauben sie wohl, sie wären echte deutsche Neger (auf dem Cover sieht man so ein original-depraviertes Ghetto- Kid, das in einen Gitterzaun greift und „raus“ will), auf der anderen Seite sind sie sympathische Hasenfüße, die doch lieber keine Helden sein wollen, dem Hiphop zwiespältig gegenüberstehen und sich in dünnstimmige, zutiefst weiß erfühlte Kitsch-Covers von Elvis Presleys In the Ghetto oder Ähnliches hineinflüchten. Sie können sich nicht so recht entscheiden zwischen Nick Cave und Public Enemy und setzen am Ende doch auf Melodie-Pop, der sich mit einer Prise Soul adeln will. Böse gesagt: ein unfreiwilliges Spiegelbild des typischen 'Spex‘-Lesers. Das Magazin revanchierte sich denn auch prompt und diagnostizierte die „Auseinandersetzung zwischen Körper und Seele“ als das „Zentralthema“.
—Terry Hoax: Life in Times of Terry Hoax (Metronome)
—Heinrich Beats The Drum: Forever in the Dust (Focus/Semaphore)
—Kissin Cousins: Lautermuschel (L'Age d'Or)
—Non Art Art: How you won the war (BSC Music)
—Eight Dayz: When you call for me... (Our Choice/Rough Trade)
EINEAUSEINANDERSETZUNGZWISCHENKÖRPERUNDSEELE—DERDEUTSCHEROCK
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