: Kohl hält fest zu Gorbatschow
■ Der Kanzler will Gorbatschow massiv unterstützen/ Die Sowjetunion soll einen besonderen Status im IWF erhalten/ Gorbatschow will beim Londoner Gipfel ein Konzept für Wirtschaftsreformen vorlegen
Bonn (ap) — Die Sowjetunion soll nach Vorstellungen der Bundesregierung im Internationalen Währungsfonds (IWF) einen „besonderen Status“, aber zunächst nicht die erwünschte Vollmitgliedschaft erhalten. Dies solle dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow bei seinem Auftritt auf dem Weltwirtschaftsgipfel Mitte Juli in London angeboten werden, hieß es in Regierungskreisen nach dem Treffen Gorbatschows mit Bundeskanzler Helmut Kohl in Kiew.
Kohl kündigte an, er wolle die sowjetischen Interessen massiv unterstützen: es wäre „nur dumm, wenn sich die Staaten des Westens zurücklehnen und unberührt zusehen würden, wie es denn in der Sowjetunion weitergeht. Und es wäre das dümmste, wenn jemand auf ihren Verfall spekulieren würde.“
Während ihres Treffens hatten Gorbatschow und Kohl lange über den Londoner Gipfel gesprochen, auf den sich der sowjetische Präsident nach Bonner Einschätzung „penibel“ vorbereitet. Er wolle den Staats- und Regierungschefs einen „Gorbatschow-Plan“ zur Beschleunigung der Wirtschaftsreformen in der Sowjetunion vorlegen, aber keine großen finanziellen Wünsche äußern, hieß es aus der deutschen Delegation. Ein hoher Bonner Regierungsbeamter betonte, der Londoner Gipfel solle den Startschuß für eine Zusammenarbeit der westlichen Industriestaaten mit der Sowjetunion geben. Dazu könne auch eine Lockerung der Einfuhrbeschränkungen für sowjetische Waren gehören.
Auch die Frage des Abzugs der Sowjettruppen aus Ostdeutschland war erörtert worden. Gefragt nach dem Zeitplan, hatte der sowjetische Präsident erklärt: „Wir stehen zu diesem wichtigen Vertrag.“ Es gebe aber Probleme finanzieller und menschlicher Natur, die man gemeinsam lösen werde. Zum Termin für ein Gipfeltreffen mit seinem amerikanischen Kollegen George Bush sagte er, es sei möglich, daß es noch im Juli dazu komme.
Gorbatschow wandte sich bei der Frage nach der Krise in Jugoslawien leidenschaftlich gegen eine Auflösung der Sowjetunion. Die Ereignisse in Jugoslawien seien „eine Lektion für alle Völker der Sowjetunion“. Die sowjetische Völkerfamilie sei in tausend Jahren zusammengewachsen und menschlich und wirtschaftlich eng verflochten. „Es ist unmöglich, uns zu trennen“, sagte der Präsident, eine Spaltung würde „für uns alle ein unabsehbares Risiko“ darstellen.
Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Otto Wolff von Amerongen, warnte unterdessen „vor weiteren allgemeinen Geldspritzen in Milliardenhöhe“ für die Sowjetunion. Der Westen sollte „nur projektgebundene Kredite“ gewähren, die zum Beispiel für die Modernisierung der Gas- und Ölförderung eingesetzt werden sollten.
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