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Der reale Sozialismus als Gesamtkunstwerk

■ »Nachlaß oder Sprelacart« von Renate Anger und Karla Woisnitza in der Festspielgalerie

Karla Woisnitza und Renate Anger, zwei Künstlerinnen aus Ost- und West-Berlin, trafen sich im Operncafé, um ihre gemeinsame Ausstellung in der Festspielgalerie zu planen. Was Wunder, daß da ihre Kunst, die sie jetzt gemeinsam ausstellen, so kleingeblümt und tellerklappernd ausfiel. Ihre Ausstellung in der Festspielgalerie ist die fünfte innerhalb des zehnteiligen Ost-West-Kunstprojekts »Konvergenzen«. Eine aktuelle Betrachtung und eine Halbzeitbilanz von Katrin Bettina Müller

Der Nachlaß oder Sprelacart beschert uns noch einmal den Blick durch Spitzengardinen, die graugelb von Generationen von Rauchern den Blick auf die Wirklichkeit abdämmen. Ein Tisch ist noch gedeckt, die Decke getupft, die orangenen Kompottschalen Ost sehen Aschenbechern West zum Verwechseln ähnlich. Die restlichen Stühle mit dem zerschlissenen, bunten Plastikbezug aber sind schon mit den Tischen, den Tellern in Geschirrkörben und den Gläsern in Kartons zwischen die gähnend leeren, kantigen Blumenkübel geschoben worden. Ein Stück Alltag wird ausgemustert: für die Dauer einer Ausstellung hält die Momentaufnahme von Sprelacart den Prozeß des Verschwindens einer Wirklichkeit auf, die ihre Signifikanz aus dem Banalen und Beiläufigen gewann. Die schnell vollzogenen kosmetischen Eingriffe in das Design einer Gesellschaft täuschen Veränderungen vor und fallen ins Auge. Weniger sichtbar wird, was außer dem Mobiliar in Bewegung geraten ist.

Dieses Ensemble, auf dem Weg aus einer DDR-Kantine auf den Müll von den beiden Künstlerinnen abgefangen, entpuppt sich in der Architektur der Festspielgalerie als das Tüpfelchen auf dem I. Nichts mehr hat da diese gestauchte Halle aus der repräsentativen Architektur West der als ach so ungemütlich verschrienen öffentlichen Architektur Ost voraus. »Wir mögen den Raum nicht; wir wollen nicht sensibel auf ihn reagieren« bestätigten die beiden Künsterinnen denn auch gemeinsam in einer Dokumentationsmappe, gegen die floskelhafte Forderung nach Raumsensibilität als Markenzeichen zeitgenössischer Kunst polemisierend.

Mit Sprelacart, der fünften gemeinsamen Ausstellung zweier Künstlerinnen aus Ost und West in der Festspielgalerie, hat das Ausstellungsprojekt Konvergenzen seine Halbzeit erreicht. Angestiftet wurden die zwanzig Künstlerinnen zu dieser konkreten Arbeit an Vereinigung und Abgrenzung von einer Gruppe von zehn Kunstvermittlerinnen beider Stadtteile, zu denen auch ich gehöre. Das Defizit an Wissen über die Kunstgeschichte im anderen Land, das nicht zuletzt durch den westlichen Verlaß auf die offiziösen Kanäle der Kommunikation aus dem Osten entstanden war, erzeugte nach der Maueröffnung ein Unbehagen und schlechtes Gewissen, dem wir so beizukommen hofften. Wir haben die Künstlerinnen zusammengebracht, nehmen an ihren Treffen teil, kommentieren Begegnung und gemeinsame Arbeit. Aus dem Nebeneinander der Arbeiten, die sich in einer Prolog-Ausstellung Ende 1990 noch als unverbindliche Ansammlung zeigten, ein Miteinander zu gestalten — sei es thematisch, technisch oder durch die Begegnung in einem neuen Medium — war die Forderung an die Künstlerinnen. Anfängliche Befürchtungen, daß Experiment, zwei fremde Künstlerinnen zusammen in einen Ausstellungsraum zu sperren, könne sich an uns, die wir diese Kunstvereinigung angezettelt haben, rächen, haben sich zum Glück bis jetzt nicht bestätigt.

Doch in dem selbstverordneten Studienprojekt zur Annäherung blieben die heldenmütigen Absichten zur Diskussion und Begriffsklärung zwischen Ost- und Westkunst, zumal im Theoretischen, oft auf der Strecke. Vermutete Ost-West-Differenzen tarnten sich als Terminprobleme und Stau im Informationsfluß. Teilweise schien es, als ob unser westlicher Begriff von künstlerischer Professionalität sich zunächst auf die virtuose Bedienung von Telefon, Farb-Fotokopierer und Strategien der Öffentlichkeitsarbeit reduziere, der gegen den Produktionsrhythmus im Osten als hektischer Druck antrat. Treffen in großer Runde arbeiteten Organisatorisches ab. Doch bald erwies es sich, daß es kaum von Abstimmungen des begrifflichen Instrumentariums abhing, ob die Vereinigung auf dem Kunstsektor funktionierte. Jenseits der anvisierten Aufarbeitung kunsthistorischer Lücken, begannen die Künstlerinnen zu arbeiten. Die Praxis überholte uns.

Berührungen und Abgrenzungen fanden auf ganz verschiedenen Ebenen statt. Den klischeehaften Konflikt zwischen Formalismus und pathetischer Inhaltlichkeit mußte ausgerechnet das erste Paar aushalten. In Rosemarie Jarmans Spiel mit Transparenz und dem Verhältnis von innen und außen sah Rose Schulze eine vorschnelle Harmonisierung und vermißte eine inhaltliche Formulierung. Inhalte zu transportieren, war für sie nur über die Einbeziehung figürlicher Elemente möglich. Jarmans lichtdurchlässige Inszenierung aus Glasplatten und Schnüren bekam so die Position einer formalen Einfassung und fungierte als Rahmen um ein mit emotionalen Problemen der Identität geladenes inneres Feld: Dort hingen Skulpturen und Fetzen von Rose Schulze, die ein Bild des kaputten, hilflosen, gefangenen, der Autonomie beraubten Subjekts lieferten. Doch dies Szenario einer verzweifelten Situation blieb im Klischee stecken.

In der zweiten Runde fügte sich die Kunst von Ann Noel und Ruth Tessmar wie ein Puzzle aus konkreter Poesie und archaisierenden Bilderschriften zusammen — daß hinter den Kulissen die Zusammenarbeit ins Leere gegangen war, blieb unsichtbar. Ann Noel suchte aus ihrem Schatz an bearbeiteten Fundstücken und ästhetischer Alltagsdokumentation Elemente aus, in die Ruth Tessmars Chiffren einer privaten Mythologie eingepaßt werden konnten; mit ihren Schriftbändern, in denen sie personelle Begegnungen verzeichnet, stellte Ann Noel das Protokoll einer Annäherung auf, die letztlich auf der Ebene der Anhäufung von Namen stehengeblieben war. Gemeinsamkeit wurde inszeniert; doch jede produktive Reibung fiel aus.

Die Schweizer Künstlerin Salome Haettenschweiler und die Bildhauerin Ulrike Rösner aus Dresden dagegen erklärten sich in einer großangelegten gemeinsamen Arbeit ihren Respekt. Anfangs schien es kaum vorstellbar, daß sich zwischen den voluminösen, umwickelten Objekten Haettenschweilers und den kleinen Skulpturen Rösners überhaupt ein gemeinsames Medium finden ließ. Ihr Thema — Schiffe — nahm Motive der kleinen Skulpturen Rösners auf, übersetzt in die Technik der Schichtung und Umhüllung. Ihrer großen Rauminstallation aus großen und kleinen Formen, die an Muscheln, Segeln, Wellen und Wolken erinnerten, haftete etwas provisorisches an: es war eine flüchtige Bühne, eigens für diese Begegnung gebaut, von beiden nicht ganz sicher betreten.

Dieser schwankenden Poesie folgte eine handfeste Gestaltung von Wand und Boden, die den Galerieraum groß und leer wie eine Tanzhalle erscheinen ließ. Mit einem Rohr, das die Wände entlang lief, betonte Susanne Ahner den Grundriß des Raums. Karla Sachse hatte aus zerrissenen Werbeplakaten und Inseraten ein riesiges Mosaik auf den Boden geklebt: Man lief über dunkelrote Magmaflüsse aus gestückelten Motorhauben, querte Gebirge blauer Karossen und Wüsten so blond wie Zigarettenfilter, watete durch gelbe Nudeltäler und frühstücksgrüne Auen: die kommerzielle Farbdramaturgie des Westens erwies sich als eine reiche Palette, derer sich Karla Sachse bediente, ohne in plakative Kritik zu verfallen.

Das vergängliche Medium der Rauminszenierung bewährt sich als eine Bühne der Begegnung, die über ein bloßes Vergleichen von Werken und Positionen hinweghilft. Zitierte Sachse in ihrer Bodenarbeit westliche Werbeästhetik, so folgte mit Sprelacart östliches Ambiente.

Wenn schon keine Begriffsklärung abfiel, so läßt sich doch anläßlich von Sprelacart eine Begriffsverwirrung anzetteln, die vielleicht ebenso taugt, erstarrte Denkmuster aufzurütteln. Die Verschiebung und kurzfristige Konservierung des Auslaufmodells DDR in den Kunstraum läßt sich ebensogut als raumbezogene Installation bezeichnen wie als sozialistischer Realismus pur begreifen. Menschennah, allgemeinverständlich und haptisch ist das Thema von Geschichtserfahrung und Identitätsverlust formuliert, wie es sich kein Theoretiker des »soz. Real.« besser hätte wünschen können. Doch die Sensibilität für diesen besonderen Geschmack des Biederen ist eben erst im Moment seines Verschwindens entstanden. Ob dieses Kunstkonzept eine späte Nachahmung der Spurensucher und -sicherer ist, die sich seit Jahrzehnten um die Sichtbarmachung verborgener Prozesse und um ein Gedächtnis für Verdrängtes in der Kunst bemühen, bleibt nebensächlich.

Nachlaß oder Sprelacart von Karla Woisnitza und Renate Anger in der Festspielgalerie, Budapester Str. 48, bis 17. Juli, täglich 12 bis 19 Uhr.

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