Neue Atomanlage in Karlstein

Siemens will neue Verbrennungsanlage für Atommüll an der bayerisch-hessischen Grenze errichten  ■ Von Bernd Siegler

Die Siemens AG wird noch in diesem Jahr einen Antrag auf Errichtung einer neuen Verbrennungsanlage für Atommüll in Karlstein (Landkreis Aschaffenburg) stellen. 1994 soll die Anlage fertiggestellt sein, die die Kapazität der jetzt vom Bayerischen Landesamt für Umweltschutz zum Abriß freigegebenen Altanlage um das siebenfache übertreffen soll. Bürgerinitiativen vor Ort befürchten, daß damit die Region in Unterfranken direkt an der bayerisch-hessischen Grenze endgültig zum „Atom-Mülleimer“ der Republik wird. Die alte „Abfallreduzierungsanlage Karlstein“ (Arak) im Besitz der Siemens AG mit einer Kapazität von 100 Tonnen pro Jahr mußte aufgrund verschärfter Umweltauflagen vor zwei Jahren geschlossen werden. Vor drei Wochen erteilte das Bayerische Landesamt für Umweltschutz schließlich der „Gesellschaft für Nuklear-Service“ (GNS) die Abbruchgenehmigung für die ARAK. An der GNS sind unter anderem die Energieversorgungsunternehmen RWE und Bayern-Werke sowie die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) beteiligt. Die Abbrucharbeiten der Arak sollen in den nächsten Wochen beginnen. Das Abbruchmaterial soll solange in Karlstein zwischengelagert werden, bis der Schacht Konrad als Endlager zur Verfügung steht. Die GNS soll auch die vom Siemens-Unternehmensbereich Kraftwerkunion (KWU) auf dem Gelände ihres Atomforschungszentrums Karlstein errichtete Neuanlage mit einer Kapazität von 700 Jahrestonnen betreiben. Dort soll dann — so Peter Pauls, Siemens- Pressesprecher des Bereiches Energieerzeugung in Offenbach — Atommüll aus den bayerischen Landessammelstellen verbrannt werden. Dazu gehören Abfälle aus der Nuklearmedizin sowie schwach radioaktives Material aus Atomkraftwerken. Eine Anlage vergleichbarer Größenordnung gibt es bislang in der BRD nicht. Pauls hält eine Umweltgefährdung für ausgeschlossen. „Wir halten selbstverständlich die neuesten gesetzlichen Grenzwerte ein.“ Den Gegnern wirft er vor, ausschließlich „nach dem St.-Florians-Prinzip“ zu handeln.

Der Sprecher des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), Eduard Bernhard, kündigte dagegen ein „bayerisch-hessisches Kampfbündnis“ der Umweltschützer gegen das Projekt an. Jetzt müsse endlich Schluß sein damit, daß die „bundesdeutsche Atomlobby die Karlsteiner Bürger zu Versuchskaninchen der Atomindustrie“ mache. Aufgrund der Bestechungsskandale, in die Siemens derzeit in der bayerischen Landeshauptstadt München verwickelt ist, hegt Bernhard „schwerste Zweifel an der Zuverlässigkeit“ des Multis.

In der 6.000 Einwohner zählenden Gemeinde Karlstein hält man sich bedeckt angesichts der Siemens- Pläne. Man wartet zunächst den Antrag zur Neugenehmigung ab. Befürchtungen, Karlstein werde zum „Atom-Mülleimer der Republik“, hält ein Gemeindesprecher für „übertrieben“. Außerdem sind die Arbeitsplätze und die Gewerbesteuer für die Gemeinde von großer Bedeutung. Allein im Siemens- Atomforschungszentrum sind 600 Personen beschäftigt. Daß in Karlstein, neben dem Forschungszentrum und einer Brennelementefabrik, mit dem nach noch nicht einmal einjährigem Betrieb wegen schwerer Störfälle Mitte der 70er Jahre stillgelegten Heißdampfreaktor (HDR) Großwelzheim und dem vor knapp sechs Jahren stillgelegten Versuchsatomkraftwerk Kahl zwei strahlende Atomruinen stehen, bereiten dem Bürgermeister und der Gemeinderatsmehrheit deshalb keine schlaflosen Nächte. Schließlich führt die Gemeinde seit über 20 Jahren das Nuklearzeichen im Gemeindewappen.