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Ein schnödes Ende für ein Baukunstwerk

Warum der Kühlturm des AKWs in Hamm gerettet werden soll/ Abbrucharbeiten am THTR haben schon begonnen/ Architekten und Ingenieure schwärmen und fordern Denkmalschutz/ Hammer Bürger rechnen und sind weiter für Abriß  ■ Von Bettina Markmeyer

Hamm (taz) — Am besten sieht man ihn auf dem Weg ins Ruhrgebiet. Einige Kilometer vor der Autobahnausfahrt Hamm-Uentrop weitet sich der Blick. Hügelabwärts scheint man genau auf den silbrig schimmernden Turm am Horizont zuzufahren. Doch statt daß er immer größer werdend auf die Fahrenden zuwächst, schrumpft er. Im Tal überquert die Autobahn die Lippe, an der linkerhand der Turm liegt. Der vorher so gewaltig über Wiesen und den verstreuten Häusern dieser Gegend thronte, wirkt nun nicht mehr so imposant wie aus der Ferne. Und bevor dann auch der Datteln-Hamm-Kanal überquert ist, hat man registriert, daß zu dem eleganten Turm ein häßliches und, wie man inzwischen weiß, äußerst teures, gefährliches und neuerdings stillgestelltes AKW gehört.

Mitte Juli soll der Kühlturm des Thorium-Hochtemperatur-Reaktors (THTR) in Hamm-Uentrop- Schmehausen gesprengt werden. Noch kündet das einstige Wahrzeichen atomar erhitzter Männerphantasien, zu dessen Füßen das vernunftbegabtere Volk in endlosen Blockaden zur Umkehr mahnte, von einem 4-Milliarden-Flop. Die nächsten 30 Jahre werden die in Dortmund ansässigen Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) — federführend in der Hochtemperatur Kernkraft GmbH (HKG) — damit beschäftigt sein, den THTR wieder dem Erdboden gleichzumachen. Daß sie ausgerechnet mit dem wie das Olympiadach in München konstruierten Seilnetzkühlturm anfangen, hat dessen Erfinder und jetzt auch die Münsteraner Denkmalspfleger auf den Plan gerufen. Sie schmerzt das schnöde Ende des 180 Meter hohen, einmaligen Giganten. Sie wollen ihn retten.

Nur zufällig habe er erfahren, daß sein Werk nun in die Luft fliegen solle, erklärt der Stuttgarter Bauingenieur Jörg Schlaich, Mitkonstrukteur des THTR-Trockenkühlturms und auch des Olympiadachs. Seitdem versucht der Professor, Zeit zu gewinnen. Schlaich: „Gesprengt ist in zehn Sekunden. Wir müssen darüber reden.“ Der Turm sei, schwärmte jüngst Manfred Sack in der 'Zeit', „ein außergewöhnlich intelligent konstruiertes, die Umwelt schonendes, in die Zukunft weisendes technisches Baukunstwerk, das Industriegeschichte gemacht hat und so bedeutend ist wie die Brooklyn Bridge in New York und der Eiffelturm...“ Solches beeindruckt die Stadt Hamm nicht. Bewährt bodenständig mit Erhaltungskosten und Planungsrecht argumentierend, empfiehlt sie für die Entscheidung des Rates, den 1974 errichteten Turm nicht unter Denkmalschutz zu stellen. Und fügt, nun gar bauernschlau, hinzu: „Wenn man dem Trockenkühlturm eine so hohe denkmalrechtliche Bedeutung zubilligen sollte, um wieviel mehr müßte dieses auch für den THTR angewendet werden.“ Heißt: der Turm soll weg. Hat er sich doch schließlich auch, das solle „nicht unerwähnt bleiben, als weithin sichtbares Symbol für das THTR-Kernkraftwerk erschwerend auf die Industrieansiedlung in der Nachbarschaft ausgewirkt“. Bereits im März dieses Jahres hat die Stadt der HKG die Abrißgenehmigung erteilt. Die Kühlelemente aus dem Inneren des Turms sind längst ausgebaut.

Die Höhe ist die eine Besonderheit des Turms. Sie wurde nur möglich durch die an einem Beton-Pylon in der Mitte aufgehängte Seilnetz-Konstruktion, aus der sich auch die einer Fischreuse gleichende Form des Turms ergibt. Die zweite Besonderheit: der THTR-Kühlturm ist ein Trockenkühlturm. Das heiße Wasser aus dem Reaktorgebäude floß durch ein geschlossenes Rohrsystem, das sich unter dem silbernen Aluminiummantel des Turms verbarg. Während das Wasser in herkömmlichen Kühltürmen teils verdunstet, kühlten in Hamm aufsteigende Luftströme das Wasser in den Rohren: Kein Wasserverbrauch, kein Dauernebel in den umliegenden Orten, keine Klimabelastung.

Die aufsteigenden Luftströme im Inneren des Hammer Turms wiederum setzten beim Mitkonstrukteur und Professor Jörg Schlaich „einen Denkprozeß in Gang“, der Anfang der 80er Jahre zu einem mit zwölf Millionen Mark vom Bundesforschungsminister geförderten Pilotprojekt für Aufwindkraftwerke führte. Mithilfe solcher Kraftwerkstürme, die unter Glasdächern erwärmte Luft ansaugen, welche dann mit mächtigem Auftrieb im Inneren der Kraftwerkstürme angebrachte Windräder rotieren läßt, kann man in Wüstenregionen aus Sonne Strom erzeugen. So gesehen ist der Hammer Kühlturm nicht nur Zeuge des Niedergangs einer Reaktorlinie, sondern zugleich Vater jener ungleich zukunftsweisenderen Aufwindkraftwerke zur regenerativen Ernergiegewinnung, die Schlaich und andere in der spanischen Mancha ausprobierten, von wo aus bereits Don Quichotte sich mit Windmühlenflügeln herumgeschlagen hat.

Der VEW ist das alles nicht Baudenkmal genug. Sie will sprengen. „Als ,Kunstwerk‘“, beschied die VEW-Hauptverwaltung Professor Schlaich, sei „der Unterhalt zu kostspielig“. Also schlug Schlaich vor, die Stahlseilkonstruktion als Riesen- Voliere, den unteren Teil des Turms als Technikmuseum oder, ganz prosaisch, für den Autohandel zu nutzen. Was wiederum den sturen Westfalen nur ein schiefes Grinsen abnötigte. Woraufhin Professor Schlaich jetzt eine neue Idee präsentiert: Man solle, so der zum „entschiedenen Gegner von Atomkraftwerken“ gereifte Mann, zumindest für die Dauer der Abbrucharbeiten am THTR im einstigen Kühlturm „ein Museum einrichten, um der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, warum hier Milliarden in den Sand gesetzt wurden“.

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