: Flüchtlinge überqueren den Fluß bei Niedrigwasser
Rumänische Asylanten/ Im Heim kommen die nervlichen Belastungen/ Am Wochenende werden wieder über 100 Menschen erwartet ■ Von Volker Danisch
Eisenhüttenstadt. Deutschland ist für alle hier ein „Zauberwort“, das politische Freiheit und Wohlstand symbolisiert. Alle — das sind rund 1.000 Menschen aus 44 Ländern in Brandenburgs Zentraler Anlaufstelle für Asylbewerber. Mit dem Niedrigwasser der Neiße kamen dort in Eisenhüttenstadt immer mehr rumänische Staatsbürger an, die den Fluß und damit die Grenze zur Bundesrepublik überquerten. Am vergangenen Wochenende waren es etwa 150, ein zehnjähriges Kind aus der großen Flüchtlingsgruppe kam dabei ums Leben.
Man habe ihnen zu Hause das „Gelobte Land“ versprochen und das letzte Geld abgeknöpft, meint Betreuer Sascha. Offen darüber will aber keiner der rumänischen Asylbewerber, die zum überwiegenden Teil den Sinti und Roma angehören, sprechen. Das käme einem Todesurteil gleich. Nur hinter vorgehaltener Hand sprechen einige über ihre Ängste. So vertraute ein Jugendlicher Sascha an, daß er zum Stehlen gezwungen werden soll. Herbert, der ebenfalls als Betreuer arbeitet, berichtet über ausgedehnte Telefongespräche. Manche setzten ihr Tagesgeld von drei Mark in Telefonmünzen um. Sie wüßten dann auch schon, wer beim nächsten Transport ankommt.
Mittlerweile stellte die Betreibergesellschaft PeWoBe Wohncontainer auf, weil in der ehemaligen Kaserne nur 600 Betten vorhanden waren. Bis zu zehn Personen befinden sich in einem Zimmer auf den langen Fluren. Neue Duschkabinen und Waschgelegenheiten wurden zwar eingebaut, doch aufgrund der räumlichen Nähe unterschiedlichster Kulturen aus Afrika, Asien und Europa, gepaart mit psychischen Belastungen, sind Konflikte vorprogrammiert. Es genügt ein kleiner Funken, wie ein verlorenes Fußballspiel, und eine Massenschlägerei beginnt, die nur noch die Polizei auflösen kann. Anlaß für die afrikanischen Flüchtlinge, einen Sprecherrat zu wählen — andere Gruppen folgten aber dem Beispiel bisher nicht.
Das Verhältnis zur Bevölkerung bewerten alle Verantwortlichen als sehr gut. An der Pforte würden vor allem Kleiderspenden abgegeben, manchmal bringt ein Mann für die Kinder Erdbeeren vorbei. Nur das Wühlen im Müll und vereinzelte Kleindiebstähle stören die Beziehung. Sascha meint, daß da vorerst auch noch so gutes Zureden nicht helfe — das „Zap-Zerap“, es hänge mit den schlechten Lebensumständen der Roma und Sinti zusammen. Selbst im Wohnheim, wo sie ausreichend mit Kleidung und Nahrung versorgt werden, legen sie heimlich Vorräte an. Einige von ihnen benutzen die Anlaufstelle auch nur als Sprungbrett für eine Wanderschaft durch Deutschland — über Nacht verschwinden ganze Großfamilien.
Jeder der Flüchtlinge stellt einen Antrag auf politisches Asyl, auch wenn es wirtschaftliche Gründe sind, die ihn hierher trieben. Jeder weiß, daß nur über diesen Weg Arbeit und Wohnung in Deutschland zu erhalten sind. In den alten Bundesländer ein langwieriges, meist über ein Jahr dauerndes Verfahren. Reinhardt Appel, Berater beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, hat eine neues Konzept entwickelt, damit eine Entscheidung über den Asylantenstatus schon nach wenigen Monaten möglich wird.
Seine Behörde befindet sich gemeinsam mit der Zentralen Ausländerbehörde für Asylbewerber des Landes Brandenburg direkt auf dem Gelände der Eisenhüttenstädter Anlaufstelle. Die vorgeschriebenen Befragungen der Antragsteller und die anschließende Bearbeitung können so vor Ort erfolgen, ohne daß tonnenschwere Aktenberge kilometerweit bewegt werden müssen. Um das Verfahren weiter zu verkürzen, soll nach dem „Eisenhüttenstädter Modell“ das derzeit beim Kreisgericht befindliche Verwaltungsgericht als Berufungsinstanz ebenfalls auf das Gelände wechseln.
Ein Wettlauf mit der Zeit — am Wochenende wird wieder ein Flüchtlingsstrom aus Rumänien erwartet. dpa
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