: O-Volkskunst am Chamissoplatz
■ Samstag eröffnete die »PGH Glühende Zukunft« ihre Ausstellung in der Galerie am Chamissoplatz zu den Klängen der Bolschewistischen Kurkapelle
Der Chamissoplatz ist eine der heimtückischsten Hervorbringungen des realexistierenden Kapitalismus und übertrifft bei weitem alles, was SED und Stasi durch diverse Wohnungsbaukombinate im Osten der Stadt vor ihr marodes Regime mauern ließen: Ein gigantischer Spielplatz suggeriert Kinderfreundlichkeit, die italienische Küche vom »Chamisso« eine multikulturelle Gesellschaft und die einzige Galerie am Platz stellt — der Gipfel der Heuchelei — auch noch volksverbundenes Kunsthandwerk aus. Aber dem marxistisch geschulten Auge bleiben die systemimmanenten Antagonismen nicht verborgen. Für ein »multikulturelles« nichtvegetarisches Abendmahl muß man so viel zahlen, wie vor der Sozialunion für fünf in Leder gebundene Lenin-Bände, und der angebliche »Volkskunstgalerist« sahnt selbst beim Vernissagen-West-Bier noch drei Deutsche Mark ab.
So darf es nicht wundern, daß dem an der Humboldt-Universität, also historisch und materialistisch ausgebildeten Frontmann der Bolschewistischen Kurkapelle alle guten revisionistischen Vorsätze im Halse stecken blieben und er sich seiner alten revolutionären Sozialisation erinnerte. Gleich dreimal erwähnte dieser in seinen stimmungsvollen Ansagen die »DDR«, ohne sie durch den Zusatz »Ex« oder »ehemalige« in das Reich des Bösen zu verbannen. Zweimal gar entschlüpfte seinem Mund das teuflische Kürzel »PDS« und einmal, aber da hatte er bereits zwei Flaschen West-Bier (= 6 DM) genossen, der Name Trotzki.
Doch die ausstellenden Künstler, denen zu Ehren die Kurkapelle das bolschewistisches Liedgut in die Abendsonne blies, haben es nicht anders gewollt. Die vier Mitglieder, der »PGH Glühende Zukunft«, die die Galerie am Chamissoplatz den Sommer über mit, glaubt man der Einladung, »Comic-Cartoons-Grafik« füllen, ließen im im Anschluß sogar noch einen Ex-DDR-Liedermacher auftreten. Um Übergriffe zu vermeiden, wurde der Mann jedoch in das Hinterzimmer der Galerie gesteckt und sang dort im engeren Kreis (der Stimmenanteil der PDS lag in Kreuzberg immerhin bei über 4 Prozent !) eine Ode auf den ehemaligen SED-Generalsekretär. Verständlich also, daß all jene, die nicht an einem plötzlichen Karriereknick interessiert waren, sich derweil lieber in den Ausstellungsräumen vergingen. Dort hängt seit Sonnabend Kunst, die uns wieder einmal zeigt, daß die DDR nicht nur das Land der unterbezahltesten Geheimdienstagenten, sondern auch jenes der urwüchsigen Gebrauchsgrafiker ist. Die PGH (d.h. Anke Feuchtenberger, Holger Fickelscherer, Henning Wagenbreth und Detlef Beck) zeigen am Chamissoplatz ihr mannigfaltiges Gesamtwerk.
Wagenbreth und Feuchtenberger gehören zur Schülerschaft des Plakatgestalters Volker Pfüller, der sich vor allem durch seine DT-Plakate für Alexander Langs Inszenierungen an Ostberlins Litfaßsäulen hervortat. Beide studierten an der Kunsthochschule Weißensee und arbeiteten erfolgreich für Theater, Verlage und bürgerbewegte Projekte. Frau Feuchtenberger, deren zweijähriger Sohn mit bemerkenswerter Aufmerksamkeit den Spanienliedern der Bolschewisten lauschte, engagierte sich im Volkskammerwahlkampf für den Unabhängigen Frauenverband. Dessen von ihr gestaltete Plakate gehören zu dem Besten, was die gesamtdeutsche parlamentarische Demokratie in den letzten Jahren aus so schnöden Anlässen an die Wände kleisterte.
Wagenbreth, Gründer der PGH, hat schon auf der Pressekonferenz am Freitag einen Rias-2-Reporter zur Verzweiflung gebracht: Auf die von journalistischer Sorgfaltspflicht gepuderte Frage, welche Ausstellung im Westen ihm denn besonders gut gefallen habe, antwortete der Künstler, es sei die eines afrikanischen Schildermalers im Haus der Kulturen der Welt gewesen. Vorher hat er jedoch den Mann erst darüber aufklären müssen, daß auch schon vor dem Fall der Mauer in der DDR Ausstellungs- und Museumsbesuche möglich gewesen sind. Über Beck und Fickelscherer wurde bereits im Zusammenhang mit der Ost-West- Cartoon-Ausstellung »Alles Banane« berichtet. Alle vier haben am Chamissoplatz eine nette Sommerausstellung gestaltet, die Kurzweil garantiert, und das ist unter dem Stichwort »Kunst« selten zu vermerken. Hagen Winter (Erkner)
»PGH Glühende Zukunft« noch bis zum 1. September in der Galerie am Chamissoplatz, dienstags bis sonntags 14-19 Uhr.
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