: Tiefenbach rotiert ins Dolce Vita
■ Nach vier Jahren verläßt der grüne Außenseiter seinen Sitz in der Bürgerschaft
hier bitte das
Foto von dem Mann
in Lederjacke
Paul Tiefenbach ist ganz froh, daß er seinen Sitz direkt vor dem RednerInnenpult der Bremischen Bürgerschaft in der nächsten Wahlperiode nicht noch einmal drücken muß. Nach vier Jahren im Parlament verläßt er das seiner Meinung nach „meist subventionierte Theater der Republik“ und will erstmal für ein halbes Jahr durch Afrika reisen. Auf das Parlament ist Tiefenbach nicht gut zu sprechen, dafür besser auf die Rotation, die er hochhält wie nur noch wenige Grüne.
Seine erste Rede im Parlament vor vier Jahren sei ein „schockierendes Erlebnis“ gewesen, sagt Tiefenbach. Sein Thema war damals die „Umgestaltung der Post“. „Es hat keinen interessiert, niemand hörte zu, aber ich war gezwungen, weiterzureden. Das war bitter.“
Auch er selbst habe während der Sitzungen oft derart abgeschaltet, daß er nicht mehr wußte, welcher Tagesordnungspunkt an der Reihe war. „Eingeschlafen bin ich aber nie. Ich saß an exponierter Stelle direkt vor dem Rednerpult“, meint Tiefenbach.
Für den ehemaligen Fraktionssprecher der Grünen liegt die Langeweile in der Natur des Parlaments. „Alle Entscheidungen sind schon vor der Sitzung gefallen, wirkliche Diskussionen finden nicht statt.“ Erfahrungen, die ihn bescheiden gemacht hätten. Der glücklichste Moment sei, wenn das Parlament mit der absoluten SPD-Mehrheit einen SPD-Antrag annehme, der einige grüne Positionen enthalte.
Als es die Flügel innerhalb der Grünen noch gab, kämpfte der linke Tiefenbach gegen die Realos in der Fraktion oft auf verlorenem Posten. Als er sich 1990 um die Wiederwahl zum Fraktionssprecher bewarb, zog er gegen Martin Thomas den Kürzeren.
Paul Tiefenbach und der Energie-Politiker Walter Ruffler waren in den Zeiten des Niedergangs der DDR die einzigen Grünen, die im Bremer Bündnis „Gegen das 4. Reich“ für einen eigenständigen, „dritten Weg“ des ehemals realsozialistischen Staates eintraten und den Anschluß an die Bundesrepublik verhindern wollten. Walter Ruffler soll in der neuen grünen Fraktion in Tiefenbachs Fußstapfen treten.
Nach seiner Afrikareise will sich der studierte Psychologe und Sozialwissenschaftler an seine Promotion setzen, dabei seine grünen Parlamentserfahrungen verarbeiten. Vorbild ist ihm ein Buch von 1918, das die Entwicklung der SPD im Parlamentarismus beschreibt. Dort ist von dem „ehernen Gesetz der Oligarchie“ die Rede: Jede Parlaments- Partei entferne sich notwendigerweise von ihrer Basis.
Von allen Themen lag Paul Tiefenbach der Internationalismus am meisten am Herzen. Da hat er Erfolge wie auch herbe Niederlagen zu verbuchen. Ein Erfolg: Die Bürgerschaft erklärte Bremen zur Anti-Apartheid- Staat. Der Südafrika-Handel über die Bremer Häfen blieb in der Entschließung allerdings unerwähnt.
Eine Niederlage: Als Internationalist ist Tiefenbach jahrelang für die für alle offenen Grenzen eingetreten. Jetzt muß er Rücksicht auf die Beschlüsse seiner grünen ParteifreundInnen nehmen, die eine Quotenregelung für ImmigrantInnen verlangen. Tiefenbach tröstet sich damit, daß sich schließlich die Situation auch geändert habe. Die Flüchtlinge aus Osteuropa seien tatsächlich Wirtschaftsflüchtlinge, die kaum mehr unter politischer Verfolgung zu leiden hätten. Nur einer begrenzten Anzahl solle Eintritt ins gelobte Land gewährt werden, und zwar ohne Anspruch auf Sozialhilfe. Den Leuten aus Osteuropa könne zugemutet werden, daß sie sich in der Bundesrepublik selbst Einkommen und Wohnung suchen. Hannes Koch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen