: „Sehen Sie sich die Rathaus-Figuren an...“
■ Spitzenkandidaten testeten in der Bremer Bank die Reaktion von über 1.000 Geschäftsleuten
Warum wählen Geschäftsleute und Unternehmer vornehmlich CDU? Über 1.000 grau bis blau jackettierte Herren, zwischen ihnen hin und wieder eine Dame, waren auf Einladung der „Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer“ am Monag abend in die Kassenhalle der Bremer Bank gekommen. Etwas erhöht saßen die vier Spitzenkandidaten, im Saal die tausend Testpersonen. Die Bank mußte ihre Schreibtische abbauen, um den Andrang unterzubringen, und reichte kein Buffett, sondern nur Kekse und Studentenfutter.
Erstes Thema: Ausländerpolitik. Die Meinung des Publikums- Lieblings Ulrich Nölle war bekannt: Grundgesetz ändern, „das Problem an der Grenze lösen.“ Applaus. Das Amt für Entwicklungszusammenarbeit abschaffen, weil dort Ausländerberatung teuer stattfinde. Applaus. Nölle kam in einem Halbsatz von den Wolgadeutschen zu den Scheinasylanten, das Publikum ergänzte bereitwillig und wußte, was der Kandidat gemeint haben muß. Applaus. Claus Jäger (FDP) wandte ein, ein grundlegendes Recht wie das auf Asyl sei einem Menschen nicht durch Grenzschutz zu versagen, sondern nur durch Gerichtsentscheid. Wenig Applaus, Publikumstest befriedigend: bei rhetorisch gutem Vortrag verträgt das Publikum auch ein neues Argument.
Zur Familienpolitik meinte der CDU-Kandidat, mehr Kindergar
tenplätze würden mehr Frauen Teilzeitarbeit ermöglichen, das bringe mehr Steuern. Test posi
tiv: Selbst das kann ihm auf dem Applaus-Barometer nicht schaden. Bürgermeister Klaus Wedemeier hatte dagegen den Amts- Malus in voller Härte gegen sich. Auch dort, wo er den Sachverstand eindeutig auf seiner Seite hatte — zu mehr als höflichem Klätscheln reichten die beifälligen Gefühle nicht. Seit Wochen pausenlos im Wahlkampf, schien er auch einmal seine eigene Reaktion in feindseliger Umgebung testen zu wollen. Ergebnis: negativ.
Unangenehm spitz wurde seine Stimmen, und schließlich brach er völlig ein: „Schauen Sie sich die Figuren am Rathaus an...“, argumentierte er in vollem Ernst. Das Unternehmerpublikum wurde lebendig, lachte und johlte. „Ich verstehe, daß Sie das nicht verstehen wollen“, fuhr der Bürgermeister die Geschäftsleute an. Die hatten natürlich verstanden und lachten weiter. „Wer da noch lacht, vergeht sich an unseren Kindern“, legte Wedemeier nach, ohne den unfreiwilligen Witz aufzugreifen: Er hatte bei seinen Sätzen Abgase und die zerfressenen Putten am Rathaus im Sinn gehabt.
Wer den Bürgermeister kritisiert, hat den Beifall, dieses schlichte Schema kam auch dem Grünen Ralf Fücks zugute. Eine „große Synthese von Ökologie und Industrie“ müsse gesucht werden, sagte der, Bremen mit den restlichen Grünflächen sparsam umgehen, weil das auch ein „Standortfaktor“ sei. Der Saal hörte aufmerksam zu, immerhin. Einige von denen, die da klatschten, zollten unmittelbar danach dem FDP-Mann Jäger ebenfalls Beifall, wenn er „die Nutzung aller Flächen Bremens“ bis zur Landesgrenze forderte.
„Knallharte Auflagen ähnlich wie die der Weltbank“ versprach Nölle, wenn Bund und Länder Milliarden zur Entschuldung Bremens geben würden. Das Publikum nahm das hin, schien doch gesichert, daß unter einer CDU- Stadtregierung an der Kurfürstenallee nicht mehr „gepinselt“ würde.
Am meisten Spaß machten dem Publikum die Fragen, die die Politiker auf dem Podium nicht beantworten wollten: „Herr Jäger, anworten Sie bitte mit Ja, weil... oder mit Nein, weil...: Halten Sie Ulrich Nölle für einen gewieften Politiker?“
Nächste Frage ohne Antwort: „Herr Nölle, was halten Sie von dem wirtschaftspolitischen Sachverstand ihres Sparkassen-Kollegen Rebers?“ Lachen, Murren; diese Frage ging einem Teil des Publikums doch zu weit, man traute dem Lieblingskandidaten die Zungenfertigkeit für eine Antwort nicht zu.
Zum Schluß der Versammlung holte Wedemeier zu einem waghalsigen Test aus. Originalton: „Wenn Herr Nölle die Ergebnisse von CDU und FDP zusammenzählt bei der Bundestagswahl, das war ja für uns in der Tat nicht rosig, dann hat er vergessen, dagegen SPD und Grüne zusammenzuzählen...“ Reaktion im Saal: Atemanhalten, vereinzelt zwanghaftes Lachen, Gemurmel, Unruhe. K.W.
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