: Tagträume in der Gummizelle
■ Daniel Habegger in der Galerie Zwinger: »I realized I was day-dreaming on stage«
Leben aus dritter Hand, ausgeliehen wie ein abgewetztes Kostüm, inszeniert der Schweizer Künstler Daniel Habegger in der Galerie Zwinger. Schon die Vorlage seines Traumes vom Leben on top of the world, Elvis Presley, stellte in seinen geheimen Tagebüchern, die Teil der ausgestellten Stimulanzien von Habeggers Tagträumen sind, fest: »My life isn't mine anymore. It never will be.« Videos über das Leben von Elvis in »Graceland«, das selbst schon ausgestelltes Schaustück war, fotografierte Habegger mittels einen schwarzen Pappbalgs vom Bildschirm ab und präsentiert die Fotos, deren Farbpunkte sich in vage Schemen auflösen, in kleinen Billigrähmchen samt Styroporverpackung. Nie ist der King zu sehen, wohl aber die Verpackung seines Lebens: mit Lederimitat gepolsterte Türen, der Cadillac, aus dem seine Hand winkt, die Villa mit den Säulen von antikem Format. Der Exhibition des Intimen korrespondiert mit der Steigerung der isolierenden Stoffe. Der Mythos vom Star und die Kunst Habeggers blühen beide erst in abgeschirmten und abgedichteten Räumen auf. Eine aus drei Schichten von Dämmstoffen gebaute isolierende Wand verstellt deshalb das Fenster der Galerie, durchstoßen eben nur von jener Apparatur, die Habegger die Reproduktion der Bilder aus Elvis Mausoleum ermöglichte.
Den fotografierten und gebauten Trennwänden entsprechen auf einer dritten Ebene die Leinwand-Bilder Habeggers. Die Sorgsamkeit, mit der der Maler Habegger verschiedene Leinwandstoffe auswählt, aufspannt, aneinandernäht, grundiert, mit Tönungen zwischen Weiß und Beige bemalt und verschiedene Oberflächenstrukturen farblich wieder angleicht, kann als ein Akt des Rückzugs und Versteckens gelesen werden. Farbschichten bauen eine Oberfläche, auf die wiederum die Abziehbilder des Mythos von der großen Einsamkeit hinter der großen Berühmtheit reproduziert werden.
Daß man den bisher als einseitig definierten Weg vom Original zum Plagiat auch rückwärts begehen kann, beweist Habegger, der Schriftkünstler, mit seinen Originalbriefen von Elvis. Die rührenden Statements aus den geheimen Tagebüchern, auf deren Echtheit es kaum noch ankommt — sprechen sie doch genau die große Verzweiflung und den Verlust jeglicher Identität hinter dem großen Glitzer aus —, liegen damit endlich in vergänglicher Handschrift vor: »I wish I could see their faces now. They said I was nobody. Now nobody is somebody and they are going to know it.«
Authentizität ist eine Sache des handwerklichen Geschicks und der Sorgfalt und die beweist Habegger, der Magier, auch in seinem zweiten Entwurf von sich selbst. Welchem Tagträumer genügt schon der Ruhm eines Stars; gerade, entgegengesetzte Pole in sich vereinigen zu können, verleiht den Visionen ihre Omnipotenz. Und so versetzt sich Habegger in die Position von Donald Judd, dem intellektuellen Meister des Minimalismus, der nicht durch den Körper, sondern die geistige Strenge erregt. In einem Modell täuscht er eine Donald-Judd- Installation in seinem eigenem Atelier vor und nur, daß man diese Ausstellung samt Kunstwerken und Künstler in eine Schuhschachtel verpacken kann, unterscheidet sie vom Original.
Natürlich ist es für die weniger intimen Kenner von Elvis Presley und Donald Judd nicht einfach, Habegger bei seiner Camouflage auf die Schliche zu kommen. Allein, in diesem Fall rate ich, sich vertrauensvoll an den Galeristen zu wenden und eine kleine Ausstellungsführung anzunehmen. Katrin Bettina Müller
Daniel Habegger »I realized I was day-dreaming on stage« in der Galerie Zwinger bis 12. Oktober, di-fr 15-19 Uhr, sa 11-14 Uhr.
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