: „Nach dem 31.12. ist Feierabend“
■ Interview mit Michael Schiwack, Chefredakteur von Jugendradio DT64
taz: Am Freitag, den 13.September habt ihr euren Sender in eine Art Zeitmaschine verwandelt, ihr habt drei Szenarien für den 1.Januar 1992 entworfen, eines davon war: DT64 wurde abgeschaltet und muß nunmehr als Piratensender weiterfunken.
Schiwack: Also, so wie es jetzt aussieht, ist nach dem 31.Dezember Feierabend. Mühlfenzl hat ja den Plan, DT64 zu privatisieren. Wir sind nur in der dummen Situation, daß wir durch die unklare Lage in den Ländern und durch den Termindruck vielleicht durch den Rost fallen. Es wurde spekuliert, daß die Ministerpräsidenten durch eine Vorab-Entscheidung DT64 aus der Einrichtung herauslösen und in eine private Trägerschaft überführen könnten. Das hat offenbar nicht geklappt. Die Länder beharren jetzt darauf, Landesmedienanstalten einzurichten und private Frequenzen auszuschreiben. Selbst wenn es gelänge, bis November diese Anstalten einzurichten, kann sich das alles immer noch ein halbes Jahr hinziehen, das heißt: Wir sind längst weg, bevor wir überhaupt eine Chance haben, uns zu bewerben. Deswegen haben wir auch die Aktion am 13. gemacht: Wir wollten unsere prekäre Situation in die Köpfe der Leute bringen.
Ihr habt ja schon im letzten Jahr, also vor der Installierung der „Einrichtung“ und vor Mühlfenzl, Privatisierungsgespräche geführt. War es nicht etwas blauäugig von euch zu glauben, die Ministerpräsidenten wollten ein zentrales Jugendprogramm?
Das hat nichts mit Blauäugigkeit zu tun. In dem Moment, in dem Mühlfenzl berufen wurde, hatten wir gar kein Verhandlungsmandat mehr. Ich darf jetzt mit niemandem verhandeln. Ich kann zwar Lobby machen bei den Ministerpräsidenten und kann Gespräche führen mit privaten Anbietern, aber ich oder DT64, das ist keine juristische Person oder Institution. Als wir damals die Anbietergemeinschaft gegründet hatten, noch mit FFN und der UFA zusammen, war ich froh, daß Mühlfenzl die Privatisierungsidee mitgetragen hat. Immerhin müssen wir ja auch im eigenen Haus in der Einrichtung überleben, und Jugendprogramme haben überall einen schweren Stand.
Ihr beharrt darauf, in allen fünf neuen Bundesländern senden zu dürfen. Ist das nicht eine sehr weitgehende Forderung?
Es müssen mindestens drei Bundesländer sein, und es muß Sachsen dabei sein. Das ist einfach eine ökonomische Frage. Wenn ich das gleiche Programm als Privatsender weitermachen will, sicherlich professionalisiert und mit stärkeren regionalen Akzenten, muß ich mindestens zehn Prozent Einschaltquote haben, um überleben zu können. Das reicht bei einem Bundesland aber nicht aus. Beispiel Sachsen: da wird es ein privates, junges Pop-Programm geben. Egal wer das macht, die werden „middle of the road“ machen müssen, anders geht es gar nicht. Da wir aber konsequent ein Jugendprogramm machen wollen, das niemals die riesigen Einschaltquoten haben kann, brauchen wir eine hohe technische Reichweite, damit es sich ökonomisch lohnt. Nur für Berlin würde ich niemals antreten. Das kann man mal machen für ein Jahr, man kann auch sagen, wir machen hier einen Szenesender mit Selbstausbeutung und allem, was dazu gehört. Damit kann ich aber keinen Radiosender positionieren, weil alle guten Leute dann weggehen. Also wir wollen schon möglichst alle fünf Bundesländer. Man könnte ja auch sagen: warum eigentlich nicht die gesamte Bundesrepublik? Ich merke aus den Reaktionen aus den Altbundesländern: DT64 stößt auf eine Marktlücke, sei es wegen der Klangfarbe oder wegen der Themen. Gerade weil wir keinen Mainstream-Funk machen, ist DT64 so erhaltenswert.
Dort, wo DT64 das einzige Jugendprogramm ist, habt ihr — so in Sachsen — die höchsten Quoten. Dort wo auch „Westsender“ zu empfangen sind, gehen die Einschaltquoten zurück.
Das ist mir klar. Aber immerhin haben wir laut Marktanalyse 1990 unsere Quoten vom Winter 1989, also in der Umbruchphase, halten können. Das ist schon bemerkenswert. Wie es aktuell jetzt aussieht, weiß ich nicht, weil wir in der neuesten Marktanalyse schon nicht mehr vorkommen, aber ich gehe davon aus, daß wir so um die zehn Prozent pendeln.
Könnt ihr eigentlich in den letzten drei Monaten euer Programm noch aufrechterhalten? Da gab es im vergangenen Jahr doch sicherlich Abwanderungstendenzen.
Es ist ganz natürlich, daß in so einem Zeitraum — die unsichere Situation besteht wie gesagt schon über ein Jahr — uns auch Leute verlassen haben. Es sind ja nicht alle Leute gekündigt worden. Das waren natürlich teilweise auch sehr, sehr gute Leute. Die sind aber aus Gründen ihrer eigenen Karriere weggegangen. Viele halten aber auch den Druck von außen nicht aus. Jetzt gibt es von mehreren Sendern Ausschreibungen, und dort bewerben sie sich dann. Um so mehr bin ich von denjenigen beeindruckt, die hier dabeibleiben, denn ich habe ja nichts in der Hand. Momentan machen wir mit 60 MitarbeiterInnen Programm, es waren mal über 140.
Wäre für euch denn die Möglichkeit, unter das öffentlich-rechtliche Dach einer noch zu gründenden Brandenburger Anstalt zu schlüpfen, realistisch?
Die Frage stellt sich für uns gar nicht. Zum einen gibt es diese Anstalt noch nicht. Zum anderen scheint man in Potsdam eher in Richtung RIAS2 zu tendieren, obwohl das gar kein Jugendprogramm ist. Wir haben ja auch nicht von vornherein gesagt, daß eine private Trägerschaft das einzig Seligmachende ist, nur: es gibt innerhalb der ARD keinen Platz für DT64. Es gab schon vor einem Jahr keinen Ansprechpartner.
Patrick Ott, der Vorsitzende der FDP-Jugendorganisation in Sachsen, hat euch vorgeworfen, überhaupt keine Konzepte vorgelegt zu haben, an denen sich die Politiker orientieren können. Was sagst du zu diesem Vorwurf?
Ich als Angestellter der Einrichtung kann doch nicht die Parlamentarier mit Papieren und Informationen füttern. Die Belegschaft fragt auch gelegentlich: Warum verhandeln wir denn nicht selber? Und ich muß Ihnen sagen: Wir können doch gar nicht. Ich kann nur allen Leuten sagen, einschließlich Mühlfenzl und den Ministerpräsidenten: die Alternativen zu DT64 sind nicht da, und daher nehme ich auch die Legitimation zur Weiterführung dieses Radios. Interview: Michael Meyer
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