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B-90-Gründung: Ganz ohne Wasserpistolen

Nach zähen und zermürbenden Satzungsdebatten wurde am Wochenende das Bündnis 90 aus der Taufe gehoben/ Beifall für MdB Schulz: „Bündnis ist kein Nostalgieverein“/ Westgrüne über Selbstbewußtsein des Ostpartners arg verunsichert  ■ Aus Potsdam Mathias Geis

Nach der Revolution die Satzungsdebatte. Fast schien es, als wollten sich die Bürgerbewegungen der ehemaligen DDR, die sich am Wochenende zur Gründung ihres längst überfälligen Bündnisses trafen, ausschließlich mit den Verfassungsfragen der neuen politischen Organisation beschäftigen. Wer im ehemaligen Potsdamer Haus der Jungen Pioniere die nostalgiegesättigte Wiederbelebung des Herbstmythos erwartet hatte, wurde erst einmal von einer zehnstündigen, zähen Satzungsdebatte zermürbt. Unaufgeregt sachlich — „ganz ohne Wasserpistolen“, wie ein Delegierter in Anspielung auf die vorausgegangenen turbulenten Veranstaltungen der Grünen bemerkte — ließen sich die rund 200 Gründungsmitglieder auf diesen basidemokratischen Exzeß ein. Samstag abend dann hoben sie mit der Verabschiedung ihres Statuts das Bündnis 90 aus der Taufe. Bis zum nächsten Morgen mußten sich alle — Delegierte, grüne Bundesprominenz und die zahlreichen Pressevertreter — gedulden, bis der Bundestagsabgeordnete Werner Schulz mit seiner vielumjubelten Rede den programmatischen Kontrapunkt setzte. Deutlicher hat sich bislang noch kein Bürgerrechtler der Ex-DDR öffentlich von der oppositionellen Melancholie über den vermeintlich nur halb geglückten Umbruch, der dann in die ungeliebte Einheit mündete, verabschiedet. Das Bündnis, so Schulz, sei „kein Nostalgieverein“. „Ich will die DDR nicht wiederhaben. Es ist gut, daß dieser Staat untergegangen ist. Ich bin stolz darauf, daß wir entscheidend dazu beigetragen haben.“ Und zur Kritik an der überstürzten Vereinigung, zur Enttäuschung vieler Oppositioneller über den verpaßten „dritten Weg“ erklärte er kategorisch: „Eine Alternative, die keine war, ist zerbrochen.“ Jetzt müsse die Bürgerbewegung „das vereinte Deutschland zu ihrem politischen Bezugsrahmen machen“. Mit diesem Credo setzte sich Schulz noch einmal offensiv von den Teilen des Neuen Forums ab, die die Gründung des Bündnisses schon im Vorfeld als Abkehr von den ursprünglichen Intentionen der DDR-Opposition gebrandmarkt hatten. Nicht im Schlagen verlorener Schlachten, so die Botschaft, sondern in der Einmischung für eine humanere Gesellschaft, so Schulz, liege heute die Chance der Bürgerbewegung. Daß seine provokanten Thesen von großem Beifall begleitet wurden, bestätigte noch einmal diejenigen, die die jetzt vollzogene Trennung schon länger befürwortet hatten. Andernfalls wäre spätestens an diesem Punkt die spektakuläre, aber lähmende Auseinandersetzung zwischen den Flügeln fällig gewesen.

Kein Staubwischen auf grünen Möbeln

Doch auch im Westen dürfte die selbstbewußte Rede Irritationen ausgelöst haben. Denn bei aller Verbindlichkeit gegenüber den Grünen, die Schulz als „authentische Partner“ der Bürgerbewegung bezeichnete, birgt der bundesweite Anspruch des Bündnisses Brisanz. Man mußte nur die Spitze der Bundesgrünen beobachten, die sich am Wochenende in Potsdam wie auf rohen Eiern bewegte; die Verunsicherung der grünen Prominenz über den zukünftigen Bündnispartner war förmlich zu spüren. Selbstbewußtsein der Bürgerbewegung, gar bundespolitische Ansprüche könnten das reibungslos-pragmatische Kooperationsszenario beeinträchtigen, das die Bundesgrünen favorisieren, seit sie ihren rapiden politischen Einflußverlust nicht mehr ignorieren können. Während in Bonn die Kooperation gerade zur Existenzfrage erklärt wird, meldet die Bürgerbewegung am Wochenende schon mal Ansprüche an. Mit „Staubwischen auf grünen Möbeln“, so der neue Sprecher des Bündnisses, Wolfgang Templin, könne es nicht getan sein. „Schrittweises Aufeinanderzugehen, keinen Anschluß und keine Unterwerfung“, forderte Werner Schulz an die Grünen gewandt. Aber auch den Hochmut mancher Bündnis-Mitglieder gegenüber den Grünen kritisierte Schulz, „als wären uns deren Fehler völlig fremd“. Immerhin, mit einigen liebgewonnenen grünen Tabus, das war bereits zuvor bei der Satzungsdebatte klar geworden, will sich das Bündnis nicht mehr herumschlagen. Die Trennung von Amt und Mandat beispielsweise ist für die Bürgerbewegung von Anfang an kein Thema. Man müsse, so Templin, ja „wirklich nicht alle grünen Kinderkrankheiten noch einmal durchmachen“.

Trotz solch erfrischendem Pragmatismus fehlte es auch in Potsdam nicht an hohen Ansprüchen. Die „offene Struktur“, die eine „politische Willensbildung von unten“ befördern soll, gehört ebenso dazu, wie der von Hans-Jürgen Fischbeck formulierte „Anspruch an uns selbst, eine neue politische Kultur zu verwirklichen“. Dazu gehört dann wohl auch die immer wieder angemahnte „nichthierarchische Funktion des Sprecherrates“. Der jedenfalls steht vor einem Balanceakt: zwischen den unheimlich kooperationsbereiten Grünen und der eigenen Basis, bei der die zukünftige ost-westliche Zusammenarbeit noch lange nicht als Existenzfrage angekommen ist.

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