Bundeswehr sitzt auf Nuklear-Müll

Militär lagert in Brandenburg hochradioaktives Kobalt 60/ Niemand will NVA-Altlast abnehmen  ■ Aus Storkow Dirk Wildt

Die DDR benutzte hochradioaktives Kobalt 60 nicht nur, um in Trinkwasserbrunnen Rostbakterien zu töten — die Nationale Volksarmee (NVA) hatte im brandenburgischen Storkow auch mehrere sogenannte Übungsanlagen: Soldaten probten den Umgang mit Geigerzählern unter radioaktiver Bestrahlung. Die Kobaltstrahlenquellen sind inzwischen im Besitz des Rechtsnachfolgers der NVA — der Bundeswehr. Doch niemand will Stoltenbergs Truppe das radioaktive Erbe abnehmen.

Das Haus, indem die Kobaltquellen gelagert werden, steht auf einem bewachten Kasernengelände bei Kehrigk, etwa 60 Kilometer südöstlich von Berlin. Der graue Bau erinnert eher an ein ländliches Feuerwehrhäuschen, in das gerade ein Lastwagen hineinpassen würde. Im Fundament des Gebäudes befinden sich acht Schächte, die ungefähr sechs Meter tief in die Erde reichen. Dort unten liegen 70 Zentimeter dicke Bleikugeln, die jeweils eine Kobalttablette in der Größe eines Schnapsglases beinhalten. Die Schächte sind mit Stahlbleiplatten von einem halben Meter Dicke abgedeckt. Unmittelbar vor dem radioaktiven Zwischenlager strahlt das Kobalt mit 2,9 Mikrosievert pro Stunde. Das entspricht in etwa der 15- bis 30fachen Menge der natürlichen Umgebungsstrahlung, die überall vorhanden ist.

Wieviel Kobalt sich in den acht Schächten verbirgt, will die Bundeswehr nicht verraten. Oberst Hans- Georg Krohm vom Pionierbataillon in Storkow gibt allerdings unumwunden zu: Die NVA-Altlast müßte endgelagert werden. Doch kein Bundesland wolle den Strahlenmüll abnehmen. Nun richtet sich die Bundeswehr darauf ein, das Kobalt 60 für längere Zeit behalten zu müssen. Auch der schwachradioaktive Müll, wie Glühstrümpfe, Laborproben und ionisierte Feuermelder, ist in den Besitz der Bundeswehr gefallen. Für diesen nuklearen Abfall läßt Krohm neben dem Kobalthäuschen ein Zwischenlager bauen.

Georg Krohm behauptet, daß nach bundesdeutschen Gesetzen das Kobalthäuschen den Sicherheitsbestimmungen genüge. Doch ein ehemaliger Mitarbeiter der NVA sagte gegenüber der taz, daß selbst zu Zeiten der DDR die Lagerung des Kobalts in Kehrigk nur für ein Jahr erlaubt gewesen sei — und dies auch nur, wenn es zum Gebrauch vorgesehen war. Von Kobalt 60, dessen Strahlungsintensität alle fünf Jahre um die Hälfte nachläßt (Halbwertzeit), geht normalerweise keine Gefahr aus, weil es im Gegensatz zu den verbrauchten Brennelementen von Atomkraftwerken keine radioaktiven Teilchen aussendet. Voraussetzung für eine sichere Lagerung ist, daß das Kobalt entsprechend verpackt ist und keine Unbefugter die Bleikugeln öffnet.

Die NVA bekam ihr Übungskobalt aus dem medizinischen Bereich. Krankenhäuser konnten den Gammastrahler für die Behandlung von Krebsgeschwüren nicht mehr gebrauchen, wenn die Strahlung durch die Halbwertzeit zu weit abgenommen hatte.

Wenn das Kobalt wiederum für die NVA zu schwach wurde, sei es in der Lebensmittelbestrahlung eingesetzt worden, behauptet ein Insider. Unter anderem sei in Leipzig ein Großteil der DDR-Zwiebelernte bestrahlt worden. Die Zwiebeln seien so „bis zur neuen Ernte im Herbst durchgekommen“. Am Ende kam das Kobalt in das damalige DDR- Endlager bei Morsleben, das inzwischen geschlossen wurde.