Ringenwalde setzt auf einen Knödel Buntes

■ Eberhard Knödler-Bunte, der in Berlin die »Mythos«-Ausstellung in den Sand setzte, will nun im brandenburgischen 500-Seelen-Dörfchen Ringenwalde mit einem Millionenetat und 247 (!) ABM-Stellen den sanften Tourismus starten

An einem Maiwochende in diesem Jahr war's, da fuhr der notorische Berliner Projektleiter und Kulturmanager Eberhard Knödler-Bunte über das naheliegendste der fünf neuen Länder — dabei hatte er zwei PKW- Ladungen Intellektuelle. Zweck des Ausflugs war die Suche nach möglichen Baulichkeiten, die eine ländliche Tagungsstätte beherbergen könnten. Eine Autostunde von der Hauptstadt entfernt, in der Schorfheide, stieß die Gesellschaft auf ein Dorf, das die vierzig Jahre Sozialismus nahezu naturbelassen überlebt hatte. Der Schornstein einer historischen Brennerei ragte in den Himmel, Störche kreisten in der lauen Luft, eine Feldsteinkirche lud die Großstadtmenschen zur Meditation. Und als sei dies alles der Idylle noch nicht genug, führten auch noch die Eisenbahn und uralte Pflasterwege hin nach Ringenwalde, zwischen Joachimsthal und Templin gelegen.

Hier war der rechte Ort: Die »Umgebung stimmte« und die Autobahn lag noch ziemlich nahe. Flugs evaluierten die »geübten Berliner«, sonst gewohnt Kreuzberger »Hinterhöfe und Fabrikgebäude zu taxieren«, die 500-Seelen-Gemeinde mit der schönen landwirtschaftlichen »Industriearchitektur aus dem 19. Jahrhundert«. Schnell waren der Sozialdemokrat Knödler-Bunte und seine BegleiterInnen dabei, sich auszumalen, was hier wohl zu bauen sei, wo Fachwerk freigelegt werden müsse, welcher häßliche Anbau an welchem Hause zu verschwinden habe. Und auch eine grobe Projektstruktur für das ziemlich arbeitslose Ringenwalde entstand noch gleich während der Kaffeefahrt.

»Wir haben in Berlin sehr viel Stadtplanung gemacht und Strategien für Kreuzberg entworfen, an der Internationalen Bauausstellung mitgearbeitet. Es lag einfach nahe, die Erfahrungen mit der behutsamen Stadterneuerung auf eine Dorfstruktur zu übertragen«, spult Knödler- Bunte monoton die Erinnerung an den historischen Moment herunter. Ja, in diese Landschaft voller historischer »Verwerfungen«, im ehemaligen Jagd-Eldorado der SED-Oberen, zwischen von der SS gesprengten Göring-Schlössern und verrottenden russischen Riesentraktoren hatte er sich so richtig »verliebt«. Hier wollte er »im vernetzten System« die Provinzmenschen »ein Stück Modernität« lehren und den linken Städtern »Toleranz für Mehrdeutigkeiten« nahebringen.

Fünf Monate später prangt an der ehemaligen Bäckerei in der Mitte des Dorfes das Schild »Info-Laden Entwicklungsgesellschaft Ringenwalde mbH«. Innen drin: die obligatorischen weißen Wände plus abgeschliffener Dielen, moderne Büroausstattung plus Ikea-Details. Aus der Suche nach einem Tagungszentrum ist ein Großprojekt geworden, das mit 247 (!) ABM-Stellen Ringenwalde und die Umgegend vor Arbeitslosigkeit, Landflucht und schnödem Massentourismus retten soll.

Statt mögliche öko-killende neue Campingplätze an den Seen ringsum zu betreiben, sollen die freigesetzten Arbeitskräfte der LPG und des geschrumpften Betonwerks nebenan nun sanft ihr Dorf zu einem Anziehungspunkt für sanfte Wochenendurlauber umstylen. Aus neuen Gewächshäusern soll bald spritzfrei erzeugtes »Wildgemüse« sowie »Würz- und Heilkräuter« für die Edeka-Läden der Hauptstadt sprießen. Übers Gras der wenig ertragreichen »Streusandbüchse« grasen dann Freiland- Rinder aus dem schottischen Hochland. Das »historische Gesicht« des Dorfes und das »alte Wegenetz« werden per »neuer Technologien und alter Handwerkstradition« wiederhergestellt — dafür sorgen sollen »Lehr- und Reko-Werkstätten«.

Der Schloßpark wird wieder schön, das gesprengte Schloß entsteht im alten Umfang neu. Wanderlehrpfade und Radwege durchziehen die Endmoränenlandschaft. Ein »Ausbildungswerk« bildet die Dorfbewohner aus und weiter. Und im Ort locken dann später mal ein »multifunktionales Tagungszentrum«, ein Hotel sowie »drei bis vier Restaurants« mit neuer Küche in unterschiedlichen Standards die bewußten Touristen nach Ringenwalde. Und die Busse mit den Rheumadecken- KäuferInnen hält dann hoffentlich irgendein dörfliches Sondergesetz aus dem ländlichen Utopia heraus. Solche Leute können mit den Informationen aus der »Geschichtswerkstatt« ohnehin nur wenig anfangen.

»Aus politischen und moralischen Gründen« (Knödler-Bunte) mußte hier mehr entstehen als ein schön gelegener Debattierclub für die Städter — schließlich waren der junge CDU- nahe Bürgermeister Albrecht Jabs und seine Ringenwalder für die große Sache zu gewinnen, harrten doch 13 praktischerweise gemeindeeigene »Objekte« — von Bürgermeister Jabs ernst-scherzhaft »Volkseigentum« genannt — der Verwertung mit westlichen Know-how. Selbiges bietet Knödler-Bunte zuhauf mit seinem Imperium aus fünf Kultur- GmbHs und Vereinen für Weiterbildung und Umschulung, die er nach der Wende gegründet hat. Im Zentrum steht das Potsdam-Kolleg für Kultur und Wirtschaft mbH, dessen Geschäftsführer Knödler-Bunte ist und das sich den »Problemen der ungleichzeitigen Modernisierung der Risikogesellschaft« verschrieben hat. Das Reich der beschränkten Haftung reicht von der Zeitschrift 'Ästhetik und Kommunikation‘ über Journalistenweiterbildung, EDV- und Verkaufstraining, Stadtplanung und Ost/West-Forschung bis zu Führungsseminaren.

Hin und wieder stoppen Dorfbewohner auf Mopeds vor dem Schaukasten am Info-Laden und gucken sich die neuesten Angebote an. Manche holen sich einen »Personalbogen« aus dem Büro. Ein jägergrüner Daimler mit B-Kennzeichen kurvt vor den neuen Dorfmittelpunkt. Dem Wagen entsteigen Knödler- Bunte, der gerade 30jährige Bürgermeister Jabs und zwei weitere Männer. »Wir waren gerade beim Notar zum Gründen«, schwärmt bewegt der Umstrukturierer von oben. Nun gibt es sie also, die »Entwicklungsgesellschaft Ringenwalde«, deren Geschäfte der Dorf-Chef und der Westler nun gemeinsam führen. Wenn alles gut geht bei der vorgesehenen Genehmigung der öffentlichen Gelder am 8. Oktober, dann werden 28 Millionen an Lohnkosten und Sachmitteln fließen. Zahlen tun das Land und die Bundesanstalt für Arbeit — Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost. 50 Prozent der Gesellschaftsanteile der neuen GmbH hält die Gemeinde Ringenwalde, 30 Prozent gehören Knödler-Buntes GmbHs und 20 Prozent einem Ringenwalder Förderverein und der Verwaltungsgesellschaft Templin-Land. Zu dieser »Public-private-Partnership« (Knödler-Bunte) gebe es »keine Alternative«, meint der Bürgermeister. Das Betonwerk ist von einem West- Investor zur bloßen Kiesgrube heruntergestuft worden, die sich beim zu erwartenden Bauboom in Berlin zu einer Goldgrube wandeln wird. Von ursprünglich 800 Arbeitsplätzen sind allerdings nur noch 200 übrig. Deshalb hofft Jabs auf »30 Prozent Dauerarbeitsplätze« durch die Entwicklungsgesellschaft und ist froh, daß sich das Dorf auf diese Weise nicht einem Investor bedingungslos ausliefern muß und die öffentliche Hand den Haupteinfluß behält. »Wir wollen hier keinen Gewinnabschöpfer, der die Bewohner zu bloßen Arbeitern degradiert.« Im Fremdenverkehrsgewerbe seien die Leute am Ort meist zum Putzen und Bedienen verdonnert, habe er erst kürzlich in einem Tourismusbuch gelesen. Und die Firmen von außen zögen derweil das Geld ab. Beide Geschäftsführer räumen ein, daß es nach der ABM-Zeit kritisch werden könne. Auch sei ein »Kulturschock« zwischen Stadt und Land vorprogrammiert, die einstimmige Unterstützung des Gemeinderats für das Projekt sei nicht auf ewig sicher. So schnell werde ein Dorf nicht zur Tourismusmetropole. Dennoch, so Jabs guter Dinge, seien Elsaß und Bayerischer Wald das sanfte Vorbild.

Und wer sahnt am Ende ab bei diesem Projekt? Nur die Gemeinde, betont Knödler-Bunte. Schließlich sei die Entwicklungsgesellschaft »gemeinnützig«. Gewinne müßten »reinvestiert« werden; später aus der Gesellschaft hervorgehende selbständige Betriebe müßten das öffentliche Geld zurückzahlen. Auch sein Potsdam-Kolleg verdiene nicht am ländlichen Entwickeln, sondern an den ursprünglichen Weiterbildungskursen. Er selbst werde hier im Dorf »per Stundensatz« bezahlt.

Ein wenig Glasnost in dieser Richtung kann auch wirklich nicht schaden. Denn Knödler-Bunte hat ganz spezielle Erfahrungen, was den Umgang mit öffentlichen Mitteln angeht. Beim 750jährigen Stadtjubiläum in West-Berlin war er Geschäftsführer der »Mythos Berlin GmbH«. Diese veranstaltete nach dreijähriger Vorbereitungszeit 1987 die große »szenische Ausstellung Mythos Berlin« auf dem Gelände des früheren Anhalter Bahnhofs. Die sollte die Berliner durch diverse »Erlebnisräume« und »Urbanitätslabore« in die »Hinterzimmer der deutschen Seele« führen und die »Wahrnehmungsgeschichte einer industriellen Metropole« offenlegen. Dafür erhielt die GmbH vier Millionen Mark vom Land Berlin und zwei Millionen von privaten Sponsoren. Von dem öffentlichen Geld wurden schließlich 2,7 Millionen Mark wieder zurückgefordert, da diese nicht korrekt abgerechnet worden waren. Der Bund der Steuerzahler protestierte wegen des immensen finanziellen Aufwands und die Kreuzberger Szene lief Sturm gegen das »Alibiprojekt« und »Zugeständnisse an die Alternativen«. Die Kritik vermißte in dem wirren Mythos-Projekt die »großen Gesten« und registrierte eine »Dauerprahlerei der Selbstinszenierung in Wort und Schrift«, ergänzt durch einen »schlampig gemachten Katalog«. 1988 mußte die »Mythos GmbH« Konkurs anmelden, sie war nicht einmal mehr in der Lage, die Ausstellungsreste — unter anderem eine riesige auf den Kopf gestellte Dampflok — vom Anhalter-Gelände abzuräumen. Zwar gingen die Forderungen der Kulturverwaltung an Knödler-Bunte mit dem Konkurs unter, doch bis heute liegt der Vorgang Mythos/Knödler-Bunte immer noch bei der Staatsanwaltschaft, wie die Berliner Kulturverwaltung und auch die Justizverwaltung auf Anfrage bestätigten. Es wird von Amts wegen ermittelt, weil sich Einzelne von dem Kulturmanager Knödler-Bunte betrogen fühlen. Zwar bestritt Knödler-Bunte die Tatvorwürfe der Untreue und des Betrugs, doch die Ermittlungen laufen bis heute weiter.

Nach den Zuwendungsrichtlinien der Länder und des Bundes ist es übrigens unzulässig, jemandem öffentliche Gelder anzuvertrauen, der schon einmal nicht ordnungsgemäß abgerechnet hat. In West-Berlin würde Knödler-Bunte wohl niemand mehr auch nur eine Mark leihen. Nach dem in den märkischen Sand gesetzten Mythos jedenfalls ging Knödler-Bunte erstmal ins Saarland, weil er den ihm zugeschriebenen Traum, nochmal Kultursenator in Berlin zu werden, wohl realistischerweise aufgegeben hatte. In Saarbrücken wurde er dann Leiter des Kulturamts und soll angeblich den Bürgermeisterposten angestrebt haben. Doch dann hielt es ihn dort auch nur zwei Jahre und er tauchte rechtzeitig zur Ideologiedämmerung im wilden Osten wieder auf.

Nun residiert er mit Jeep, Feldstecher, Funktelefon und Hund ganz rustikal in Luisenau gleich bei Ringenwalde auf einer Art Mini-Gutshof. Aus dem ehemaligen »Ferienobjekt Luisennau des VEB PCK Schwedt«, einem Urlaubsort für Lehrlinge, soll ein weiteres, eher kleines und privates Tagungszentrum werden.

Das gesamte Projekt Ringenwalde sollte übrigens zunächst kleiner ausfallen, wie Knödler-Bunte anmerkt, an etwa 40 bis 60 ABM-Stellen war gedacht. Doch bei einer Regionaltagung der Friedrich-Ebert- Stiftung kamen dann der Drive des postindustriellen SPD-Geschaftlhubers Knödler-Bunte und die Ambitionen des persönlichen Referenten der brandenburgischen SPD-Arbeitsministerin Regine Hildebrandt, Schmachtenberg, zusammen. Das Projekt hob so richtig ab und wurde immer größer und gutgemeinter, genauso wie damals der »Mythos Berlin«. Mal sehen, was diesmal bleibt im märkischen Sand.

Mit einem Wermutstropfen hat Knödler-Bunte jetzt schon zu kämpfen: Der bei der Bahnstation gelegene »Gasthof zur Eisenbahn« läßt sich nicht mehr ins Projekt integrieren. Den hat sich ein Mann, der früher angeblich in der Normannenstraße beschäftigt war, unter den Nagel gerissen. Und das zum Bedauern von Eisenbahnfan Knödler-Bunte auch noch während der End-DDR- Zeit zum Spottpreis. Besonders schade sei das wegen des angebauten Tanzsaals mit der wunderschönen antiken »Holzempore« — wo gibt es sowas im Westen noch! Ja, so ist das. Wie die Menschen ist eben auch das beste, nett ausgedachte Entwicklungsraster nicht perfekt. Hans-Hermann Kotte