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Deutsche Atom-Dokumente im Irak gefunden

■ Ein Teil der geheimen Unterlagen an UNO-Inspektoren übergeben/ USA warten auf Zusage Bagdads im Hubschrauberstreit

Wien/New York (ap/taz) — Im Gewerkschaftsgebäude der irakischen Hauptstadt Bagdad wurden die UNO-Inspektoren fündig: gleich Kistenweise stellten sie geheime Atomdokumente sicher, von denen ein Teil in deutscher Sprache abgefaßt ist — ein weiterer Hinweis auf Presseberichte, nach denen bundesdeutsche Firmen an der Entwicklung irakischer Massenvernichtungswaffen beteiligt waren.

Die irakischen Behörden händigten den Inspektoren gestern einen Teil der Dokumente aus, deren Beschlagnahme tags zuvor gewaltsam verhindert worden war. Der Sprecher der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Hans-Friedrich Meyer, warf der Regierung Saddam Husseins jedoch vor, die Akten mit den wichtigsten Schlüsselinformationen noch zurückzuhalten.

Nach Darstellung der IAEA in Wien belegen die teilweise auf deutsch abgefaßten Dokumente offenbar zum ersten Mal die Entwicklung von irakischen Atomwaffen. Bisher konnte Bagdad nur die Herstellung von geringen Mengen an waffenfähigem Uran oder Plutonium nachgewiesen werden. Wie es gestern in der Zeitung 'Financial Times‘ hieß, ist nun damit zu rechnen, daß das Untersuchungsteam in Kürze die Namen der westeuropäischen Firmen veröffentlichen wird, die an der atomaren Aufbereitungstechnologie beteiligt waren. Dem Bericht zufolge soll es sich um ein oder zwei Unternehmen handeln. Man darf also gespannt sein.

Nach Angaben Meyers lieferten irakische Soldaten am Dienstag morgen mehrere Kisten mit Dokumenten in dem Hotel ab, in dem die UNO-Inspektoren untergebracht sind. „Dies ist aber nicht dieselbe Menge, die sie konfisziert hatten“, sagte Meyer. „Wir vermuten, daß wichtige Dokumente nicht zurückgegeben wurden.“

Die UNO-Inspektoren hatten am Montag einige Unterlagen noch kopieren können, ehe irakische Sicherheitskräfte die bereits aus dem Gewerkschaftshaus in Bagdad herausgetragenen sieben Wagenladungen an Akten in ihren Besitz brachten. Die mehr als vierzig Fachleute der Vereinten Nationen wurden nach ihrer unangemeldeten Inspektion insgesamt zwölf Stunden lang festgehalten. Neben englischen Texten seien auch Dokumente in deutscher Sprache entdeckt worden, sagte der Leiter der UNO-Sonderkommission zur Ermittlung des irakischen Potentials an Massenvernichtungswaffen, Rolf Ekeus.

Das irakische Außenministerium erklärte, die Regierung habe die Dokumente nicht verstecken wollen, sondern lediglich auf der korrekten Ausstellung von Empfangsbestätigungen bestanden.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wollte nach Angaben seines französischen Präsidenten Jean- Bernard Merimee am Dienstag seine Konsultationen über die Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens im Irak fortsetzen. Merimee sagte, die UNO erwarte ein Schreiben aus Bagdad, in dem die irakische Regierung den Inspektoren die Genehmigung für Hubschrauberflüge erteilen werde. Irak ist aufgrund des nach dem Golfkrieg abgeschlossenen Waffenstillstandsabkommens verpflichtet, Massenvernichtungswaffen und Material, das zu deren Herstellung dienen kann, zu deklarieren und der Vernichtung zuzuführen.

Unterdessen prüften Vertreter der amerikanischen Regierung nach Angaben von Präsidentensprecher Marlin Fitzwater zusammen mit Diplomaten anderer Mitgliedsstaaten des Weltsicherheitsrats die Möglichkeit, ob der irakischen Regierung ein auf achtundvierzig Stunden befristetes Ultimatum für den Einsatz amerikanischer Kampfflugzeuge gestellt werden solle. Die US-amerikanische Luftwaffe soll diesem Plan zufolge die UNO-Inspektoren bei Hubschrauberflügen begleiten und schützen. Fitzwater sagte, der Zwischenfall im Gewerkschaftshaus von Bagdad verstärke die Skepsis, ob die irakische Regierung alle Forderungen der UNO erfüllen werde. Ein amerikanischer Regierungsbeamter, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte, das geplante 48-Stunden-Ultimatum sei mit der gewaltsamen Intervention gegen die UNO-Inspektoren möglicherweise hinfällig geworden. „Wir sind zu Aktionen berechtigt“, fügte er hinzu.

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