: Küste im Aufstand gegen Atommüll
CDU-OB von Greifswald und Bürgermeister von Lubmin empört/ Landesregierung angeblich nicht informiert/ Töpfer für neues Zwischenlager in Greifswald/ In Sachsen-Anhalt Atommüllchaos ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) — Drei Tage nach der Ankündigung eines neuen Atommüllagers in Greifswald ist die Ostseeküste in heller Aufregung. Die Greifswalder Bürgerschaft mit CDU-Bürgermeister Reinhard Glöckner an der Spitze ist „empört“ über die Pläne der Atomindustrie und entäuscht von den mangelnden Informationen der CDU-Landesregierung. Regierungschef Gomolka (CDU) wiederum wehrt sich gegen den Vorwurf, er habe dem Atommüll-Zwischenlager schon zugestimmt. Mit ihm habe es keine Gespräche gegeben, sagte Gomolka dem Greifswalder CDU-Bundestagsabgeordneten Ulrich Adam. Adam schwankt: Wenn das Lager sicher sei und einige Arbeitsplätze dabei heraussprängen, könne er sich ein Atommüllager schon vorstellen. Ohne Konzept, wie PreussenElektra-Chef Krämer die Pläne vorgestellt habe, lehne er „erst mal ab“.
Das Urteil der Kommunalpolitiker vor Ort ist dagegen schon gefallen. Das Atommüllager sei ein negativer Standortfaktor. Wirtschaft, Wissenschaft und Tourismus in der Region würden darunter leiden, so der Greifswalder CDU-Oberbürgermeister und seine Senatoren. Dietrich Gülzow, Bürgermeister im Küstenkurort und Reaktorstandort Lubmin, schimpfte, das Vorgehen der PreussenElektra sei unverantwortlich. Solche Hiobsbotschaften dürfte man nicht aus der Presse erfahren. „Das ist eine große Sauerei.“
Der örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete Hinrich Küssner haut in die gleiche Kerbe. Schon heute mache der Ruf als Atomstandort „in der Anwerbung von Investoren unheimliche Probleme“. PREAG-Chef Krämer glaube wohl, für die paar Arbeitsplätze „schlucken die im Osten auch hochradioaktiven Abfall“. In der Atomfrage müsse jetzt endlich Ruhe einkehren. KLaus-Dieter Feige von Bündnis 90/Grüne will die Pläne von PreussenElektra „auf keinen Fall akzeptieren“. Man könne nicht den Menschen in den fünf neuen Ländern „schon wieder den Dreck der Republik aufbürden“.
Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) erklärte derweil in Bonn Kryptisches: Ihm gehe es nur um die vorläufige Lagerung von Brennstäben aus dem inzwischen stillgelegten Atomkraftwerk Greifswald. Töpfer unterstrich gleichzeitig, daß die Kapazität von Greifswald für die weitere Lagerung der Brennstäbe nicht ausreiche. Deshalb sei es Aufgabe der Energiewerke Nord, eine entsprechende Genehmigung zu beantragen.
Seit 1985 könnten diese Brennstäbe — es handelt sich um rund 700 Tonnen — nicht mehr in die Sowjetunion zurückgebracht werden. Gleichzeitig hieß es in Bonn, es sei keinesfalls ausgeschlossen, ein solches Greifswalder Zwischenlager so zu vergrößern, daß dort weiteres Uranmaterial aus dem gesamten Bundesgebiet vorübergehend gelagert werden könnte.
Eine „Europäisierung“ der Endlagerung von Atommüll komme für die Bundesregierung nicht in Betracht.
Für einen weiteren Problemfall meint die Landesregierung Sachsen- Anhalt eine Patentlösung gefunden zu haben: Sie ließ den Atommüll, der seit April auf dem Gelände der Firma Sina Industrie-Service in Bitterfeld lagerte, nach Morsleben abtransportieren. Das Magdeburger Verwaltungsgericht hatte im Februar die Einlagerung neuer Atomabfälle in Morsleben per Gerichtsbescheid verboten. Die Landesregierung jedoch meint, der Gerichtsbescheid beziehe sich lediglich auf unterirdische Lagerung. Der Container aus Bitterfeld lagert oberirdisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen