PRESS-SCHLAG: Kampf den Totenköpfen
■ Herthas grotesker Ordnungsdienst hat wieder zugeschlagen: St.-Pauli-Fans empört
Der aberwitzigste Ordnungsdienst der Bundesliga hat wiedermal zugeschlagen: der von Hertha BSC Berlin. Als Wende und Bundesligaaufstieg bei Hertha den eitlen Glauben nährten, künftig eine hervorragende Rolle im deutschen Fußball einnehmen zu können, beauftragte der Verein den pensionierten Polizeimeister Kramell mit dem Aufbau einer Truppe zur Kontrolle der berüchtigten Hertha-Frösche und der unbändigen Zuschauermassen, die im Olympiastadion erwartet wurden. Kramell stellte eine nahkampferprobte Mannschaft zusammen und machte sich auf der Stelle daran, eine Reihe von abstrusen Vorschriften wie serienmäßige Alkoholtests an den Eingängen zu entwerfen.
Dieser Coup kam nie zur Ausführung und Kramell widmete sich erstmal einer anderen Risikogruppe: den Journalisten. Wegen erwarteter Überfüllung der Pressekonferenzen wurden zwei Arten von Pressekarten eingeführt, mit und ohne Zugang zum Presseraum. Eine Maßnahme, die unter anderem dazu führte, daß sich der Reporter der 'Süddeutschen Zeitung‘ von Kollegen berichten lassen mußte, was die Trainer in der Pressekonferenz von sich gegeben hatten. Diese Regelung wurde eisern aufrechterhalten, auch als gegen Saisonende nur noch eine Handvoll Journalisten an der Hertha und ihren diversen Trainern interessiert waren.
Ein Berichterstatter, der nach Spielende das mittlerweile leergefegte Stadiongelände um einen einzigen Schritt verlassen hatte, dann aber umkehrte, weil er etwas vergessen hatte, sah sich der beharrlichen Verfolgung durch einen Ordnungsmann ausgesetzt, der ihn unaufhörlich zum Verlassen des Stadions aufforderte. Der überraschte Mann mußte sich erklären lassen, daß das Wiederbetreten des Stadions auch für Journalisten strikt untersagt sei. Seine Weigerung zog eine Anfrage bei der „Einsatzzentrale“ nach sich, die bündige Antwort: „Rausschmeißen.“
Einem anderen Journalisten, der einige Stunden vor einem läppischen Zweitligaspiel ins Olympiabad zum Training der Modernen Fünfkämpferinnen wollte, wurde der Durchgang mit der barschen und dreisten Erklärung verwehrt, im Olympiabad sei niemand. Erst das Einschreiten des Stadionhausmeisters verschaffte dem genervten Rechercheur nach langen Diskussionen den Passierschein.
Die letzten Opfer des Herrn Kramell waren, wie der Fan-Beauftragte Sven Brux in einem Offenen Brief mitteilt, am vergangenen Sonntag die Fans des FC St. Pauli, bekanntermaßen die friedlichsten der Liga. Ihnen wurde unter Berufung auf die Hausordnung, die die Mitnahme „gefährlicher Gegenstände“ untersagt, allen Ernstes das Mitführen ihrer Totenkopfembleme auf Fahnen, T-Shirts und Schals untersagt. Außerdem wurde der Zutritt mit metallverstärkten Schuhen verboten, für eine Möglichkeit, die Treter zu deponieren, war allerdings nicht gesorgt. „Versucht es doch mal bei einer Wurstbude“, wurde den nunmehr bestrumpften Pauli-Fans geraten, die zu allem Überfluß von einer Gruppe Skinheads angegriffen wurden, die die günstige Gelegenheit freudig und relativ unbehelligt ausnutzten.
Nur knapp konnte verhindert werden, daß einem Fotografen die Batterien aus seinem Apparat beschlagnahmt wurden, konfisziert wurden dafür alle Feuerzeuge. Aber das war kein großes Problem, da die inkriminierten Gegenstände ja im Stadioninnenraum an einem Werbestand käuflich zu erwerben sind. „Ist zu befürchten“, fragt sich Sven Brux besorgt, „daß demnächst auch Schlüssel (als todbringende Weitwurfgeschosse) und Schals (als berüchtigte Würgewaffen) unter die Verbotsliste fallen?“ Matti
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