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Diesmal ist das Gewissen dran

■ Obwohl es in der Abtreibungsfrage längst eine gesellschaftliche Mehrheit für die Entscheidungsfreiheit der Frau gibt, werden sich die Parlamentarier über sechs Gesetzentwürfe beugen, von denen keiner...

Diesmal ist das Gewissen dran Obwohl es in der Abtreibungsfrage längst eine gesellschaftliche Mehrheit für die Entscheidungsfreiheit der Frau gibt, werden sich die Parlamentarier über sechs Gesetzentwürfe beugen, von denen keiner in seiner jetzigen Form mehrheitsfähig ist.

Die Geschichte ist keine Rolltreppe, Madame la Histoire erspart weder Umwege noch Rückschläge. Aber manchmal bringt sie auch unverhoffte Chancen. Ohne den Fall der Mauer stünde die Reform des Abtreibungsrechts heute nicht auf der Tagesordnung, obwohl die Frauenbewegung seit fast genau 20 Jahren — im Mai 71 begann mit der Selbstbezichtigungs-Anzeige im 'Stern‘ der Kampf der Frauen gegen das Abtreibungsverbot — das Recht von Frauen einfordert, ohne ärztliche oder anderweitige Bevormundung über das Austragen einer Schwangerschaft selbst entscheiden zu können.

Zum dritten Mal in der Geschichte des Bundestages wird nun über die Neuregelung des 120 Jahre alten Strafrechtsparagraphen beraten. Denn die von der sozialliberalen Koalition 1974 verabschiedete Fristenregelung wurde bekanntlich vom Bundesverfassungsgericht verworfen.

Zwar beendete die 1976 beschlossene Indikationenregelung die Zeiten der Kurpfuscher und verbesserte deutlich die medizinische Versorgung; auch sind Frauen und Ärzte nicht länger in die Illegalität gedrängt. Dennoch hat diese Reform keine Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit gebracht — von der grundgesetzlich gebotenen Entscheidungs- und Gewissensfreiheit der Frau ganz zu schweigen. Die zu trauriger Berühmtheit gelangten Strafprozesse in Memmingen zeigten nur zu deutlich, wie notwendig die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist.

Gesellschaftliche Mehrheit für die Fristenlösung

Doch erst mit der deutsch-deutschen Vereinigung wurden die Karten neu gemischt. Denn in der DDR existierte seit 1972 eine dreimonatige Fristenregelung. Sozialdemokraten und Liberale erreichten im Einigungsvertrag eine Übergangslösung für ihren Weiterbestand in den neuen Bundesländern — verbunden mit der Aufforderung an den Gesetzgeber, bis Ende 1992 eine Neuregelung zu finden.

Aber obwohl es längst eine gesellschaftliche Mehrheit für die Entscheidungsfreiheit der Frau im Sinne einer Fristenlösung gibt, obwohl eine Vielzahl von JuristInnen der Überzeugung ist, daß Bundesverfassungsgericht könnte seine 16 Jahre alte Entscheidung heute mit gutem Grund revidieren, ist durchaus noch offen, ob die politische Mehrheit dafür tatsächlich zustande kommt. Sie hängt vor allem vom Willen und poltischen Mut der FDP ab, sich auf die sozialdemokratische Position einer klaren Fristenregelung zuzubewegen.

Keiner der sechs Gesetzentwürfe, die heute in erster ganztägiger Lesung im Bundestag beraten werden, ist in seiner jetzigen Form mehrheitsfähig. Das Spektrum ist breit: ersatzlose Streichung des Paragraphen 218 (PDS und Bündnis 90/Grüne), Fristenlösung (SPD), eingeschränkte Fristenlösung mit Beratungspflicht (FDP), modifiziertes Indikationenmodell (CDU/CSU-Fraktionsentwurf) sowie verschärftes Indikationenmodell („Gruppe Werner“ aus der Union). SPD und FDP haben ein ganzes Paket von sozial flankierenden Maßnahmen dazugepackt.

Auch die Union präsentiert soziale Hilfen, wobei allerdings Kindergartenplätze, kostenlose Verhütungsmittel und Hilfen für Alleinerziehende dem Rotstift zum Opfer fielen. Zudem wollen CDU und CSU die Aufhebung des Fraktionszwangs nur für den strafrechtlichen Teil gelten lassen — um so die Liberalen im sozialpolitischen Teil auf ihre Linie zu zwingen.

318 Abgeordnete bringt die CDU/CSU auf die Waagschale, ebenso viele die Fraktionen von FDP und SDP. Dazu kommen 17 Abgeordnete aus der PDS und 8 vom Bündnis 90/Grüne. Eine Mehrheit für die Fristenregelung wäre jenseits der Union durchaus möglich — wobei sich allerdings FDP und SPD noch in entscheidenden Punkten einigen müßten. Käme dabei eine zu restriktive Regelung heraus — Stichwort Beratungszwang, Strafandrohung für die Frau —, könnten aber VertreterInnen von PDS und Bündnis 90 nicht mehr mitmachen. Beide Gruppen haben schließlich Entwürfe eingebracht, die Abbrüche auch nach der 12. Schwangerschaftswoche legalisieren und konsequent vom Selbstbestimmungsrecht der Frau ausgehen.

Kompliziert wird die Sache ferner durch die unsicheren KantonistInnen, die es in fast jeder Partei gibt. So finden sich in der FDP eine Reihe von Abgeordneten, die eher ein Indikationenmodell befürworten. Umgekehrt hat dieses Problem aber auch die Union. Vermutlich 30 bis 40 Abgeordnete um den MdB Horst Eylmann neigen eher einer Fristenlösung zu. Zwar hielten sich die „DissidentInnen“ jüngst bei der Abstimmung über den Fraktionsentwurf zurück. Aber damit haben sich die BefürworterInnen einer liberalen Regelung in der Union noch nicht von der politischen Bühne verabschiedet.

Beeinflußt wird das Verhalten der Abgeordneten bei Union und FDP schließlich noch von koalitions- und machtpolitischen Erwägungen — obwohl diesmal nur das Gewissen sprechen soll. Die Äußerungen der FDP-Fraktionsspitze aber deuten darauf hin, daß man die Brücken zur Union durchaus nicht abbrechen will; diese droht schließlich unverhüllt mit wechselnden Mehrheiten auch in anderen politischen Bereichen, zum Beispiel bei der Pflegeversicherung.

Welche Richtung die Reise nimmt, werden wohl erst die kommenden Beratungen in dem eigens dafür geschaffenen Sonderausschuß deutlich machen. Aber eben weil die Situation so viele Unwägbarkeiten enthält, gibt es für die Frauenbewegung auch die Chance, in einer Art konzertierter Aktion noch einmal Einfluß auf die parlamentarische Entscheidung zu nehmen: das können Demonstrationen und Aktionen auf der Straße sein, das kann Lobbying bei einzelnen Abgeordneten sein — in welcher Form auch immer.

Denn eines ist klar: bekäme das Indikationenmodell der CDU/CSU-Fraktion mit Hilfe der FDP doch eine Mehrheit, stellte das eine politische Katastrophe dar. Für die Frauen in den östlichen Bundesländern bedeutete es eine buchstäbliche Entrechtung.

Aber auch für die Frauen im Westen bringt es Verschlechterungen: In den Ländern mit einer restriktiven 218-Praxis sind Frauen und ÄrztInnen nach wie vor nicht vor einer Überprüfung durch die Gerichte geschützt. Und in den liberalen Ländern wird nun auch auf den Inhalt der Beratung Einfluß genommen. War das bisher Ländersache, so werden nun bundesweit Beratungsziele vorgeschrieben, die den rigiden bayerischen und baden-württembergischen Richtlinien nahekommen. Der Entwurf spricht hier eine eindeutige Sprache zugunsten der „LebensschützerInnen“.

SPD und FDP versichern beide: Wir wollen eine Fristenlösung. Doch die Unterschiede in beiden Entwürfen sind größer, als die Frauenpolitikerinnen beider Seiten — die am Zustandekommen eines Kompromisses stark interessiert sind — momentan aus taktischen Erwägungen zugeben mögen. Dagegen gibt es bei der FDP-Lösung durchaus Übereinstimmungen zum Unionsmodell. Denn auch bei der FDP wird der Paragraph 218 nicht aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, sondern lediglich modifiziert. Frauen und ÄrztInnen bleiben von Geld- und Gefängnisstrafen bedroht; innerhalb der ersten 12 Wochen ist der Abbruch für Frauen und ÄrztInnen allerdings auch ohne Indikation erlaubt — so die Frau sich einer Beratung unterzogen hat. In der späteren Phase gilt weiterhin ein Indikationenmodell mit unübersichtlichen und komplizierten rechtlichen Regelungen, auch hier dem Entwurf der Union sehr ähnlich.

Schwierige Verhandlungen zwischen SPD und FDP sind also vorprogrammiert. Streitpunkt sind vor allem die Frage der Zwangsberatung und der Strafandrohung für die Frau. Im SPD-Entwurf für eine dreimonatige Fristenregelung können Frauen auch dann nicht für eine Abtreibung bestraft werden, wenn sie nach der 12-Wochen-Frist erfolgt ist. Statt einer Plicht zur Beratung bietet der SPD-Entwurf einen Anspruch auf Beratung in allen Fragen von Verhütung, Sexualität und Familienplanung.

Sozialer Friede nur, wenn das Strafrecht sich zurückzieht

Nun wird von seiten der FDP mit großer Verve behauptet, nur eine Fristenregelung mit obligatorischer Beratung werde bei den Karlsruher Richtern Bestand haben. Doch geraten die Liberalen hier in Widerspruch zur ihrer eigenen Argumentationslinie. Behauptet wird nämlich, der vom Verfassungsgericht verlangte Schutz des ungeborenen Lebens werde nach den bisherigen Erfahrungen eher über soziale Hilfen, Aufklärung und Sexualerziehung erreicht als über das Strafrecht, das vom Gericht damals selbst als „ultima ratio“ angesehen worden sei. Weshalb ja auch die Sozialmaßnahmen in den Entwürfen von FDP und SPD eine außerordentlich große Rolle spielen.

Bleibt man auf dieser argumentativen Ebene, so müssen genauso jene Erfahrungen berücksichtigt werden, die deutlich zeigen, daß auch eine Zwangsberatung nicht den geforderten „effektiven Lebensschutz“ bietet. Denn nach Untersuchungen von Pro Familia nimmt eine Beratung nur bei fünf bis zehn Prozent der ungewollt schwangeren Frauen Einfluß auf ihre Entscheidung! Abgesehen davon diskriminiert eine strafbewehrte Zwangsberatung Frauen und widerspricht demokratischen Grundsätzen. Allenfalls ist gesetzlich sicherzustellen, daß schwangere Frauen über alle ihnen zustehenden Rechte und Hilfen informiert werden — mit dem Strafrecht hat das nichts zu tun. Was aber passiert, falls im Parlament kein Entwurf eine Mehrheit findet? Laut Einigungsvertrag existiert zunächst zweierlei Recht weiter. PolitikerInnen von FDP und SPD befürchten, daß dann die unionsregierten Länder eine Normenkontrollklage anstreben und die DDR-Fristenregelung in Karlsruhe einkassiert wird, weil sie weder ein Beratungsangebot noch Sozialleistungen enthält. Dann wäre der schlimmste aller Fälle eingetreten. Doch gibt es hier auch andere Einschätzungen. Die Rechtsphilosophin Monika Frommel geht davon aus, daß die DDR-Regelung, bei entsprechend verfassungskonformer Formulierung, Bestand haben könnte. Während vor 16 Jahren nur die Indikationenregelung aus Richtersicht so etwas wie sozialen Frieden gewährleistet habe, sei heute sozialer Friede nur erreicht, wenn das Strafrecht sich zurückzieht. Helga Lukoschat

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