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Blockaden: Überall ist Stresemannstraße

■ In Hamburg erlaubt, in Berlin verboten: Anwohner und Initiativen besetzten mehr als 30 wichtige Verkehrsknoten Sie fordern die großflächige Einführung von Tempo 30 und daß der Lkw-Verkehr aus den Innenstädten verdrängt wird

Hamburg/Berlin (taz) — Der siebenjährige Lars stemmt stolz einen Besenstiel mit Pappschild in die Höhe. Den Text: „Überall ist Stresemannstraße“, den er mit gelber Plaka-Farbe auf die braune Pappe geschrieben hatte, soll weit über die Köpfe der über hundert Leute zu sehen sein, mit denen er zusammen die Kreuzung Rathenau-/Sengelmannstraße im Hamburger Stadtteil Alsterdorf blockiert. Auf der Sengelmannstraße rasen täglich mehrere 10.000 Autos und Laster längs, doch um 12 Uhr gehört die Straße dem kleinen Jungen fast ganz allein: die Polizei leitete den Verkehr weiträumig um. Anwohner und Initiativen wollten bis in den frühen Abend kurzfristig 25 Hauptverkehrsstraßen und Kreuzungen besetzen.

Genau vier Wochen, nachdem in der Hamburger Stresemannstraße ein neunjähriges Mädchen von einem Laster überfahren worden war, regte sich auch in Berlin der Protest. Mehrere 1.000 Menschen und Verkehrsinitiativen wie der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) demonstrierten am „Aktionstag für eine autoarme Stadt“ in beiden Städten für eine großflächige Einführung von Tempo 30, Busspuren, Fahrbahnverengungen auf Hauptstraßen, bessere Fahrradwege, fußgängerfreundliche Ampelschaltungen und die Einschränkung des Lkw-Verkehrs in den Innenstädten. In der SPD-regierten Hansestadt waren alle Versammlungen von der Polizei erlaubt worden.

In der Hauptstadt (CDU/SPD-Senat) hatte ein Arbeitskreis Verkehr und Umwelt zu bundesweiten Aktionen nach dem Vorbild „Überall ist Stresemannstraße“ aufgerufen. Die ersten Blockaden begannen gegen 7 Uhr früh im Bezirk Prenzlauer Berg. 400 Schüler, Eltern und Kinder besetzten die Senefelder- und Dunckerstraße. Die Polizei, die in Berlin alle neun vorgesehenen Kundgebungen auf Straßen verboten hatte, ging gegen die Blockierer nicht vor, leitete den Verkehr weiträumig um. Am Nachmittag wollten die Ordnungshüter Blockaden auf wichtigen Verkehrsknotenpunkten aber nicht akzeptieren. In Berlin war ähnlich wie in Hamburg am Monatsanfang ein siebenjähriger Junge von einem abbiegenden Lkw überfahren worden.

Hamburgs Innensenator Werner Hackmann (SPD) wertete die Proteste als Ermutigung für seine Tempo-30-Politik. Die Hansestadt habe schon heute die flächenmäßig größte Verkehrsberuhigung in der BRD. Hauptstraßen wolle er im Interesse eines geregelten Verkehrs von der Verkehrsberuhigung aber auch weiterhin ausnehmen. Berlins Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) hält dagegen weiter daran fest, in 52 Straßen Tempo 30 wieder aufzuheben. Auch sollen die Tempo-30-Zonen auf ihren Sinn überprüft werden.

In der Elb-Metropole (1,6 Millionen Einwohner) gab es im vergangenen Jahr 65.723 Unfälle, 9.751 Menschen wurden leicht, 1.240 schwer verletzt. 100 Menschen verloren ihr Leben. In der Stadt an der Spree (3,4 Millionen Einwohner) gab es in der ersten Hälfte dieses Jahres allein im Ostteil 78.000 Verkehrsunfälle, bei denen 89 Menschen getötet wurden. Unfälle finden zu über 80 Prozent auf Hauptverkehrsstraßen statt.

Nach der erfolgreichen Dauerblockade der Stresemannstraße, in dessen Zuge Hamburgs Innensenator Werner Hackmann (SPD) vor zwei Wochen Tempo 30 und Busspuren einführen mußte, überlegen auch in Berlin Anwohner und Verkehrsinitiativen nach Karambolagen mit Verkehrstoten ,die Unfallstraßen zu blockieren. Dirk Wildt

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