: Wer ist Waldo?
■ Großformatige Farbfotografien von Gundula Schulze
Die gebürtige Thüringerin Gundula Schulze, bekannt geworden durch Fotoarbeiten mit zyklischen Themenstellungen, betritt in der Waldos Schatten betitelten Ausstellung das Neuland der Körperbilder, der Selbstinszenierung des eigenen Körpers. Dies geschieht nun nicht in einem zaghaften Herantasten oder gar in angedeuteten Gesten. Gundula Schulze zerschlägt in ihren Arbeiten herausfordernd und kraftvoll die letzten tabuisierten Zonen des weiblichen Körpers, die im Bildermeer von öffentlichen Brüsten und Hintern noch geblieben sind.
Sie desavouiert so in corpore personae das kommerzielle Frauenbild der westlichen Hemisphäre: Hier, schaut her, das ist mein Körper, so präsentiere ich ihn in freier Entscheidung. So oder ähnlich — phantasierte man nach Truth or Dare — müsse in letzter Konsequenz Madonnas Selbstdarstellung enden.
Aber was auf den ersten Blick anmutet wie Anschauungsmaterial zu Dr. Jack Morins Anal Pleasure and Health, ist ein provokantes Spiel der Künstlerin auf der Klaviatur der Erwartungshaltungen des Betrachters. Hier zeigt eine Frau ihren Körper ohne Fremdbestimmung der Öffentlichkeit. Schon dies allein ist — auch 1991 — nicht selbstverständlich in einer von männlichen Obsessionen geprägten Bilderwelt der Aktfotografie. Sie tut dies mit einer Offenheit und Unbefangenheit, die jeglichen Voyeurismus, der sich an geheimen Nischen, diskret verborgenen Furchen und Körperfalten entzündet, im Keim erstickt.
Cindy Sherman ist eine andere starke »postmoderne« Fotografin, die sich traumwandlerisch durch die Jahrzehnte nach 1945 bewegt, sich dabei sämtliche klischierten Frauenbilder aneignet, diese am eigenen Körper inszeniert und reflektiert. Aber dort, wo Sherman gesellschaftliche Restriktionen mit ihrem eingeschnürten, deformierten und maskierten Körper darstellt und in bester puritanischer Manier sogar Prothesen für weibliche Geschlechtsmerkmale einsetzt, offenbart Gundula Schulze jeden Winkel ihres Körpers, liefert sich dem Betrachter aus.
Dies geschieht selten in der Selbstverlorenheit des Kindes, das seinen eigenen Körper entdeckt und befühlt: In keinem der Bilder berührt sich die Künstlerin. Die Kamera selbst wird hier tastendes, erforschendes Organ, ist verlängertes und rationalisierendes Ganglion. Meist wird der Betrachter in immerwährenden Spiegelungen, die in ihrer narzistischen Potenzierung und mehrfachen Brechung aufstören, daran erinnert, wie sehr er an die männlichen Projektionen auf weibliche Körper gewöhnt ist und wie jeder von uns bereits von dieser leicht konsumierbaren, eindimensionalen Sicht auf die eine Hälfte der Menschheit korrumpiert worden ist. Zu selten ist die Frau unabhängig und zu selten stark genug, ihre Unabhängigkeit öffentlich zu demonstrieren: Eine pralle Brust wird in ironischer Brechung der traditionellen Repoussier-Figur an den oberen linken Bildrand gehängt und verweist auf die Fotografin, die — gespiegelt in der Tiefe des Bildraums — selbstbewußt ihren nackten Körper am Kamerastativ präsentiert.
In Gundula Schulzes Arbeiten wird die Frau zum Agens und Gestalter ihres eigenen Körpergefühls und Körperbewußtseins. Die Fotografin bleibt dabei nicht nur der reinen Selbstdarstellung verhaftet. Besonders spannend werden ihre Arbeiten dort, wo es ihr gelingt, über die zweifache Inszenierung in Spiegelung und im Medium Fotografie hinauszugehen: Die Silhouette der Fotografin schwebt kopfüber in ein diffuses Fensterkreuz eingewoben über dem passiv auf den Boden gegossenen Akt der Künstlerin. Schon nach kurzer Betrachtung scheint der graugeschweifte Boden in Bewegung zu geraten, wird zum schnellen Asphalt, entzieht dem Akt, auf den der Betrachter als einzig klarem Bildbestandteil fokussiert, den Halt. Die Gewißheit anderer Posen wird in diesem Bild aufgehoben. Die Darstellende und die passiv Dargestellte, Signifikat und Signifikant, werden in diesem Bild vereint, repräsentieren den Akt des Fotografierens und den Akt des Körpers innerhalb einer Kadrierung, und doch scheint alles im Fluß, haltlos, schwebend. Die Gefahr des Sich- Auslieferns im Medium der Fotografie wird hier thematisiert.
Sind Gundula Schulzes Körperbilder erotisch? Da sie im Akt Emblem werden für den Akt der Befreiung von herkömmlichen und akzeptierten Verhaltensmustern, bekommt — mehr noch als der Körper der Frau — die Kraft der Selbstdarstellung erotische Qualitäten. Haltung und Selbst- Reflektion werden zu entscheidenden Momenten. Erst ein Aufheben derart erzeugter intellektueller Distanz würde erotische Schwingungen zwischen den Körpern und dem Publikum initiieren. Jeannine Fiedler
Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, 1-30, 27.9.-3.11., Katalog: 15 DM.
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