: Wenn Polizisten rot sehen
■ Teilnehmer der Verkehrsblockade vom Freitag ziehen Bilanz/ Polizei reagierte »völlig unverhältnismäßig«/ Radfahrer und Fußgänger bei Räumaktionen einfach überrannt
Berlin. »Es war eine gute Aktion, auch wenn wir wegen der kurzen Mobilisierungszeit nicht soviele Leute auf die Straße gebracht haben«, ist das Fazit des 23jährigen Chemielaboranten Jörg K. nach der Verkehrsblockade am vergangenen Freitag. Im Gegensatz zu den Hamburgern, die bei ihrer Großaktion für eine autoarme Stadt am selben Tag 5.000 Leute auf die Beine gebracht hatten, konnten sich in Berlin nur mehrere hundert Menschen zur Blockade von 13 Kreuzungen aufraffen (siehe taz vom Samstag). Aber auch die Berliner Polizei sollte sich von ihren Hamburger Kollegen eine dicke Scheibe abschneiden: Aus der Hansestadt wurden keine Festnahmen bekannt, obwohl dort einige Straßen — wie im Neuen Schanzenviertel in St. Pauli — bis Mitternacht über sechs Stunden blockiert worden waren. Demgegenüber griffen die Berliner Beamten aus den friedlichen Versammlungen immer wieder rabiat einzelne Leute wegen Verdachts des Widerstands und der Nötigung heraus und schleiften sie zur Personalienfeststellung in die Wannen. An der Potsdamer- Ecke Bülowstraße setzte sich kurz nach 18 Uhr eine Polizeikolonne in Marsch und rannte Radfahrer, Fußgänger, Mütter und Väter mit Kindern, die nicht schnell genug waren, einfach über den Haufen.
»Plötzlich hörte ich an der Kreuzung Bülow- Ecke Potsdamer Straße aus dem Polizeilautsprecher den Befehl >Marsch, Marsch<«, berichtete der Chemielaborant Jörg K. »Ich wußte erst nicht, was das heißt. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß die Beamten losrannten. Ich versuchte, mit dem Rad schnell wegzufahren. Das ging aber nicht, weil ich einen zu hohen Gang drin hatte. Im selben Moment wurde ich auch schon zu Boden gerissen und in die linke Seite getreten.« Wie viele andere Demonstranten verlangte Jörg K. vergebens die Aushändigung einer Polizei- Dienstnummer. Eine Frau, die auf dem Bürgersteig stand und sich nicht in Richtung Kurfürstenstraße treiben lassen wollte, wurde mit der kaltschnäuzigen Antwort abgefertigt: »Was brauchen sie eine Dienstnummer, sie sehen doch, daß ich Polizist bin.«
»Wie die Stiere rannten sie in der Potsdamer Straße Erwachsene und und Kinder über den Haufen«, beschrieb der 30jährige Stadtplaner Bernd O. die Szenerie. Der Stadtplaner war erst später zu den Demonstranten in Schönberg gestoßen, weil er bei der Blockade der Kreuzung Mehringdamm Ecke Yorkstraße von Polizisten festgenommen worden war. »Sie haben behauptet, ein Autofahrer habe gegen mich Anzeige erstattet. Als ich mich sträubte, haben sie mir die Beine weggeschlagen, in den Rücken getreten und mich in die Wanne gezerrt.« Die Beamten hätten offensichtlich die Aufforderung des Autofanatiker-»Vereins Engagierter Verkehrsteilnehmer« (VEV) beim Wort genommen, der am Mehringdamm gefordert haben soll: »Haut drauf, wir wollen Tempo 50.«
Bernd O. erwägt jetzt, seinerseits Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten. Für die unverhältnismäßigen Polizeieinsätze hat der Stadtplaner nur eine Erklärung: »Abschreckung, um die Protestbewegung niedrig zu halten.« Trotzdem findet Bernd O., daß die Aktion »fürs erste ein voller Erfolg« war und hofft auf eine baldige Fortsetzung. Denn daß sich die Bevölkerung gegen den Verkehr durchsetzen könne, »haben uns die Hamburger in der Stresemannstraße vorgemacht.« plu
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