: Schwarzer Magier der Trompete
Im Alter von 65 Jahren starb Miles Davis nach einem Schlaganfall ■ Von Carlo Ingelfinger
Im Sommer 1927 tobte ein Tornado über St. Louis, ein Sturm, dessen ungebändigte Naturgewalt ganze Stadtviertel zerstörte. Später erinnert sich Miles Davis wieder an diese „gewalttätige, schöpferische Kraft“, die über die Stadt und den damals einjährigen Miles fegte: „Vielleicht steckt etwas von diesem Tornado in mir. Etwas von seinem riesigen Atem. Ich glaub' nun mal an geheimnisvolle, übernatürliche Dinge.“
Ja, Miles Davis glaubte an Spiritualität und Magie. Und er verstand es, seine eigene Spiritualität und Magie in eine Musik zu gießen, deren kraftvolle Schönheit jahrzehntelang Jazz, Musik überhaupt formte und vorantrieb. Mehr noch: Er war bei allem Genie und Intuition eine kritische, intellektuelle und reflexive Persönlichkeit. Er war selbstbewußt, manchmal auch arrogant. Er war stolz darauf, Schwarzer zu sein. Er setzte sich im „erbärmlich rassistischen Amerika“ als einer der ersten schwarzen Künstler durch, ohne Konzessionen an weiße Manager, Plattenbosse, Clubbesitzer zu machen. Miles stellte die Bedingungen, niemand anders.
„Die Musik lag immer wie ein Fluch auf mir, denn ich mußte einfach spielen“, sagt er in seiner aufregend ehrlichen Autobiographie. Schon als Junge — er war Sohn eines wohlhabenden Zahnarztes — habe er viele seiner späteren Eigenschaften gehabt: Die Liebe zu Frauen und Klamotten, den Ärger über Weiße. Den Stolz auf seine Rasse vermittelte ihm der Vater.
1945 ging er nach New York, wo im Hexenkessel der 52. Straße der Bop gebraut wurde, die selbstbewußte Absage der jungen, schwarzen Jazzgeneration an den zur Popmasche verkommenen Swing. Charlie Parker und Dizzy Gillespie erkannten den 20jährigen als kongenial. Er spielte in Parkers Gruppe. Und sein Stil trug damals schon Züge meisterlicher Reife. Er spielt nicht in rasender Schnelligkeit Läufe auf und ab wie seine Kollegen. Ihm geht es um Rhythmus und Melodie im Solo. Er liebt Pausen. Er bricht die Akkorde auf, entwickelt Melodien aus ihnen. Rund zehn Jahre später nimmt er nicht mehr Akkorde, sondern Töne als Ausgangspunkte für seine weiten melodischen Ausflüge; diese „modale Spielweise“ ließ ihn in jedem Solo praktisch neu komponieren. Er bläst ohne Vibrato, kühl und zurückhaltend, mit Dämpfer lyrisch und intim.
Aufschlußreich, wen er selbst als stilistische Einflüsse nennt: Charlie Parker, die Sänger Nat King Cole und Frank Sinatra, den Schauspieler und Regisseur Orson Welles und den Boxer Sugar Ray Robinson. Wichtig für Davis ist der Stil, die Persönlichkeit des Menschen, nicht das Medium, in dem sie sich ausdrückt. Miles boxte selbst und malte auch, rhythmisch und musikalisch, dürfen wir annehmen. „Ich will nur ich sein, in jeder Beziehung... Ich spiele auf meine Art, und dann versuche ich, darüber hinauszugehen“, sagte er.
Miles Davis hatte mit seinem Spiel in Parkers Gruppe schon einen Höhepunkt des Bop gesetzt und zugleich angedeutet, wie er selbst und wie der Jazz weitergehen sollten. Er begründete 1950 mit den „Birth Of The Cool“-Sessions — seine Trompete vor ruhigen Arrangements von Gil Evans und Gerry Mulligan — den Cool Jazz. Und nicht zum letzten Mal in der Jazzgeschichte blieb eine seiner Aufnahmen, die einen neuen Stil einleiteten, auch die beste des ganzen Stils, der sich dann entwickelte.
Die hektischen Jahre des frühen Erfolgs hatten ihren Tribut gefordert: Miles war, wie so viele Kollegen, drogenabhängig, und musikalisch wenig aktiv. Es geht ihm dreckig. 1955 wirkte dann zum ersten Mal eine Begabung, die er so beschreibt: „Ich habe die Fähigkeit, bestimmte Jungs zu finden und damit 'ne chemische Reaktion in Gang zu setzen [...], sie spielen zu lassen, was sie können, und darüber hinaus.“
Miles konnte seinen Musikern sehr genaue musikalische Vorstellungen geben und ihnen zugleich soviel kreativen Freiraum einräumen, daß sie Neues schufen, von dem sie nicht ahnten, daß es in ihnen schlummerte. 1955 also stellte er sein erstes Meisterquintett zusammen: John Coltranes lange Skalen setzten heiße Kontrapunkte zu Miles' abgeklärten, klassischen Linien, Red Garlands tänzerisches Klavierspiel rieb sich an den komplexen Rhythmen des Schlagzeugers Philly Joe Jones, Bassist Paul Chambers hielt alles zusammen: Und Miles und die Gruppe waren mehr als die Summe ihres Könnens und ihrer Persönlichkeiten.
Miles produzierte eine Reihe von Meisterwerken, mit dieser und anderen Combos, mit der Big Band von Gil Evans. Er war populär, er verdiente gut, er war das Synonym für Jazz und der zeitgenössische Jazz war zum besten Teil sein Werk. Aber selbstzufrieden war er nicht.
1965 wirkt seine Magie erneut: im Quintett mit Wayne Shorter, Herbie Hancock, Ron Carter und Tony Williams. Miles blies jetzt aggressiver, ohne die Basis seines Stils aufzugeben. Sein fantastisches Gefühl für musikalische Spannung benutzt er nicht mehr, um Endgültiges zu spielen, sondern seine Soli klingen am Ende offen, mit Hinweisen auf Neues, Kommendes.
Miles Davis ist auf neuen Pfaden. Er verläßt das Ghetto des Jazz, empfindet sich als schwarzer Rockmusiker, adaptiert Elemente von Jimi Hendrix und James Brown in die Musik seiner neuen, „elektrischen“ Gruppe mit E-Pianos, E-Bass, E-Gitarre und vielerlei Rhythmusinstrumenten.
Rockige Basslinien und afrikanischer Rhythmus mischen sich mit Freejazz-Elementen; weit überzeugender, als jemals später bei einer Rockjazzgruppe. Chick Corea, Joe Zawinul, John McLaughlin und Jack deJohnette sind dabei; im rhythmischen Dschungel der langen, tranceartigen Stücke weisen die kurzen Trompetenstöße Miles Davis' den Weg. Miles ist Rock-Star: Seine Platten sind in den Charts, er spielt im Fillemore und auf der Isle Of Whigt.
Doch 1975 bricht seine Karriere wieder ab. Nach einem Unfall muß er mehrmals am Hüftgelenk operiert werden, er hat Schmerzen, ist medikamentenabhängig, seine Sucht läßt ihn nie ganz los. Er zieht sich völlig zurück. Keine Platten. Keine Auftritte. Miles Davis wird zur Legende. Als er 1982 wieder spielt, ist sein Rhythmus klarer, rockiger. Bald läßt er sich von Marcus Miller, seinem „Gil Evans der achtziger Jahre“, komplizierte Synthi-Programme bauen, vor deren Disco-Background er in sparsamer Schönheit wieder seine spröden Linien spielt. Die Legende lebt, Auftritte werden zu Kult-Ereignissen.
Doch Miles Davis war ein kranker Mann geblieben. Er quälte sich. Anfang September wurde er wieder einmal in ein Krankenhaus eingewiesen, wo er am Samstag nach einem Schlaganfall starb. Am Ende seiner 1989 veröffentlichten Autobiographie schreibt er: „Musik hat was mit Sprititualität, mit Geist und Gefühl zu tun [...] Was wir gemeinsam gespielt haben, das muß irgendwo in der Luft schweben, denn dorthin haben wir's geblasen, und dieser Scheiß war magisch und spirituell.“
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