INTERVIEW: „Eine Militärregierung lehnen wir ab“
■ Stelian Tanase, Vizevorsitzender der Bürgerallianz-Partei und Chefredakteur der Bukarester Zeitschrift 'ACUM‘, zur Situation in Rumänien
taz: Hat die am Wochenende stattgefundene Landeskonferenz der Bürgerallianz-Partei einen Beschluß gefaßt, wie die durch die Aktion der Bergarbeiter hervorgerufene politische Krise überwunden werden könnte?
Tanase: Die Invasion der Bergarbeiter ist auf die Wühltätigkeit reaktionärer Kräfte innerhalb der Front zur Nationalen Rettung sowie anderer Gruppierungen zurückzuführen, die so etwas wie einen linken Staatsstreich angezettelt hatten. Premier Roman vertrat in der Front den Reformflügel und wurde von den Reformgegnern aus seiner eigenen Partei gestürzt. Nun ist sogar das von ihm halbherzig eingeleitete Reformprogramm gefährdet, was eine äußerst negative internationale Reaktion bewirkt hat und Rumänien erneut in die Isolation zu drängen droht. Das Land könnte nun autoritär von Iliescu und seinen Anhängern regiert werden.
Die Liberale Partei vertritt die Auffassung, daß die neue Regierung aus Politikern bestehen sollte, die Bauernpartei hingegen plädiert für eine parteiunabhängige, aus neutralen Technokraten gebildete Regierung. Ihre Partei gehört zusammen mit den oben erwähnten dem Oppositionsblock, dem „Nationalkonvent zur Schaffung der Demokratie“, an. Welchen Standpunkt vertritt die Bürgerallianz-Partei in dieser Streitfrage?
Wir werden uns auf jeden Fall an keiner von der Front dominierten Regierung beteiligen. Da wir nicht im Parlament vertreten sind und Präsident Iliescu ohnehin nur mit den im Parlament sitzenden Parteien Gespräche über die Zusammensetzung des zukünftigen Kabinetts führte, stellt sich momentan für uns gar nicht diese Frage. Die Bürgerallianz-Partei vertritt eher den realistischeren Standpunkt der Bauernpartei, denn eine demokratische Partei dürfte die Front nicht unterstützen.
Die Altdissidentin Doina Cornea erklärte im Fernsehen, daß das einzige Mittel zur Entmachtung der Front der Generalstreik sei. Unterstützen Sie diesen Standpunkt?
Wir glauben nicht, daß auf der Straße politische Lösungen erzwungen werden können. Die halbherzige Reformpolitik Romans stürzte das Land in eine unsägliche Wirtschaftskrise, so daß ein solcher Streik im Endeffekt auf linkskorporatistische ökonomische Forderungen hinauslaufen würde. Die Grubenarbeiter stellten letzlich ja auch nur wirtschaftliche Forderungen, und nicht zufällig zerstörten sie die neuen Privatgeschäfte. Sie sind eigentlich Gegner der Marktwirtschaft und möchten, unabhängig von ihren Leistungen, gleichbleibende Gehälter, das heißt die Beibehaltung ihrer alten „Privilegien“. Ihre Forderungen sind wohl begründet, dabei darf aber auch die soziale Unzufriedenheit anderer Schichten nicht ignoriert werden.
Wie würden Sie die Gewalttätigkeiten der Grubenarbeiter einschätzen, die eine große Ähnlichkeit mit den Ausschreitungen im Vorjahr haben, als dieselben damals von Iliescu herbeigerufenen Leute die außerparlamentarische Protestbewegung niedergeknüppelt hatten?
All das können wir nicht vertreten. Unsere kleinen demokratischen „Errungenschaften“ wurden jetzt erneut in Mitleidenschaft gezogen. Es hat zahlreiche Verletzte und Tote gegeben, manche sprechen von 40 Toten, wobei aber vor allem die eingesetzten Ordungskräfte für die Gewalttaten verantwortlich sind. Wir fordern einen unabhängigen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der jüngsten Vorfälle.
Inzwischen gibt es Gerüchte, daß der orthodoxe Metropolit der Moldau, Daniel Ciubotea, der bis Anfang dieses Jahres Ehrenvorsitzender der rechtsextremen „Vatra RomÛneasca“ („Rumänische Heimstätte“) war, neuer Premier werden soll. Hat die Bürgerallianz-Partei einen besseren Vorschlag?
Auch die Generäle Voinea, Ionel und Ex- Verteidigungsminister Stanculescu sowie der Frontvorsitzende Ion Aurel Stoica sind im Gespräch für das Amt des Regierungschefs. Wir würden den Temeswarer Hochschullehrer und Rektor Vladea als neuen Premier unterstützen. Eine Militärregierung lehnen wir ab.
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Interview: William Totok
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