: 38.000 Mitglieder suchen einen Parteichef
■ Die Berliner PDS will Ende Oktober auf ihrem Parteitag einen neuen Vorsitzenden wählen/ Verzweifelte Suche nach Kandidaten/ Keiner traut sich, den Vorsitz der in Flügel zerrissenen Partei zu übernehmen/ Der fehlende Wille zur Macht
Berlin. Die mitgliederstärkste Partei der Stadt sucht einen neuen Vorsitzenden. Es ist eine verzweifelte Suche, denn bisher will es keiner werden. Eigentlich wollte die PDS Anfang Oktober die Namen derjenigen bekanntgeben, die sich auf dem Parteitag am 26. und 27. Oktober um die Nachfolge des wegen seiner Stasi- Vergangenheit zurückgetretenen Wolfram Adolphi bewerben würden.
Bisher jedoch kursieren ausschließlich Namen von Leuten, die schon gefragt wurden, die jedoch postwendend abgelehnt haben. Gesine Lötzsch, die Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, will definitiv nicht kandidieren, weil Fraktionsvorsitz und Landesvorsitz auf einmal »überhaupt nicht zu bewältigen« seien. Thomas Kuczynski, Sohn des berühmten marxistischen Historikers und Mitglied der reformorientierten »Strömung« in der Berliner PDS, hat ebenfalls abgewunken. Und der kommissarisch amtierende Parteivorsitzende Peter Zotl hat »eigentlich« auch keine Lust — obwohl er nicht zu erwähnen vergißt, daß zwei Bezirksvorstände ihn schon gefragt hätten.
Hintergrund dieser Angst vor der Macht sind offensichtlich die heftigen Konflikte, die seit Monaten hinter den Kulissen toben. Es gebe nun mal »teilweise diametral entgegengesetzte Gruppen« in der Partei, sagt der scheidende Landesgeschäftsführer Thomas Nord. In diesem »Spannungsfeld« den Vorsitz zu übernehmen, traue sich kaum jemand zu. Hinzu kommt die finanzielle Krise, die erneut einen größeren Stellenabbau erzwingt: Die Zahl der noch knapp 70 hauptamtlichen Parteifunktionäre soll auf die Hälfte reduziert werden.
Auch unter den Reformern, deren parteiinterner Zusammenschluß schlicht als die Strömung bezeichnet wird, gibt es keinen rechten Willen zur Macht. »Personell« werde die Strömung wahrscheinlich »nicht intervenieren«, sagt Marion Seelig, die als Mitglied der Vereinigten Linken in der PDS-Fraktion mitarbeitet. »Wenn du dich auf den Parteivorsitz einläßt«, begründet Seelig diese Abstinenz, »dann mußt du dich auf den Spagat einlassen.«
Da die Reformer in der Minderheit seien, könnte einer der ihren als Vorsitzender nicht nur seine »eigene Strömungslogik« repräsentieren, formuliert es Seeligs Fraktionskollege Harald Wolf. Zu deutsch: Man müßte sich ziemlich verbiegen.
Seelig könnte sich rein theoretisch auch eine »kollektive Führung« vorstellen. Doch der »Mainstream« der parteiinternen Diskussion, so Seelig bedauernd, gehe im Moment eher in Richtung Zentralisierung. Viele in der Partei würden darüber nachdenken, die Trennung von Amt und Mandat wieder aufzuheben und der Berliner PDS nach dem Vorbild des Brandenburger Landesverbandes eine straffere Führung zu verpassen.
Peter Zotl beispielsweise beschwört — ähnlich wie der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow — die Notwendigkeit eines »Grundwertesystems«, auf das sich die Mitglieder trotz ihrer unterschiedlichen Ansätze einigen müßten. Von einem derartigen Grundkonsens sind die 38.000 Berliner PDS-Mitglieder zur Zeit weiter entfernt als je zuvor. Fast alle wichtigen Fragen sind umstritten. Während etwa Zotl zusammen mit der Parteimehrheit nach wie vor »ja, aber« zu Olympia sagt, haben kürzlich sieben Mitglieder des Landesvorstandes sowie Marion Seelig und Harald Wolf ihre Gegnerschaft zu dem Sportspektakel zu Protokoll gegeben.
Während Zotl einen »Mehrheitstrend« in der Partei sieht, bei den BVV-Wahlen im Mai auch in allen Westberliner Bezirken anzutreten, melden Strömungsvertreter Zweifel an, ob die Partei diesem Kraftakt organisatorisch und programmatisch gewachsen wäre. Mitglieder gibt es im Westteil kaum, kommunalpolitische Programme überhaupt nicht. Eine »flächendeckende Kandidatur« ist in den Augen des früheren AL- Funktionärs Wolf deshalb »nicht sinnvoll«. Die erfolglosen »propagandistischen Kandidaturen« linker Splittergruppen in den 70er Jahren könnten als Lehre dienen.
Schon im Streit um diese Fragen könnten auf dem zweitägigen Parteitag Ende Oktober die Wellen hochschlagen, mutmaßen Insider. Marion Seelig rechnet darüber hinaus mit einer kontroversen Debatte über das Asylrecht und mit großem Widerstand gegen ihre Forderung nach »offenen Grenzen«. Wichtig für Seelig wäre es auch gewesen, wenn die Partei eine »eindeutige Haltung zum Putsch in Moskau« bezogen hätte. Das hätte sich selbst Zotl gewünscht, doch auch er bezeichnet die jüngsten Ereignisse in der Sowjetunion als »Zusammenbruch«. Er wolle das völlig wertneutral und auf das Scheitern der Prestroika bezogen wissen, beteuert der amtierende Parteichef. Daß in der Sowjetunion jetzt der Kapitalismus restauriert werde, tue ihm nämlich »immer noch außerordentlich weh«.
Im »antikapitalistischen« Ansatz trifft sich der amtierende Vorsitzende durchaus auch mit Reformern wie Nord. Unterschiede gibt es in den Konsequenzen. So setzt sich Nord für eine »sozialistisch-emanzipatorische« Politik und eine enge Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Protestgruppen ein. Die Mehrheit der Parteimitglieder tut sich dagegen immer noch schwer, mit der ungewohnten Oppositionsrolle zurechtzukommen. Bei vielen sei immer noch das Bedürfnis da, »zu harmonisieren«, räumt auch Zotl ein. Freilich mag das zum Teil auch der Überalterung der Partei geschuldet sein: Nach jüngsten Erhebungen ist jedes zweite Berliner PDS- Mitglied bereits im Rentenalter.
Das Umlernen fällt da verständlicherweise schwer. Mit spezifischen »DDR-Traditionen«, so Nord, sei die Olympia-Begeisterung der Partei zu erklären. Mit den sportlichen Erfolgen der DDR-Sportler habe man sich als SED-Mitglied »stark identifiziert«. In einigen Ostberliner Bezirken mache sich die Basis darüber hinaus Hoffnungen, daß die Olympiade bis zu Jahr 2000 das eigene Stadtviertel aufwerten könnte. Contra-Olympia-Argumente fielen da auf keinen fruchtbaren Boden. Die Kehrseite: Mit dem Nutzen, den ein Olympisches Dorf in Rummelsburg bringen könnte, lassen sich die potentiellen Wähler in Kreuzberg kaum von ihren antiolympischen Gefühlen abbringen.
Mindestens drei verschiedene und dabei heftig verfeindete Flügel machen Parteimitglieder innerhalb der PDS aus. Neben der staats- und parteikritischen Strömung gibt es nicht nur die alten orthodoxen SED-Erben und die Kommunistische Plattform, sondern auch die »Zotl-Connection«, die sich in den Augen der Reformer längst als staatsfixiert und »sozialdemokratisch« entlarvt hat. Welcher Flügel sich auf dem Parteitag mit welchen Kandidaten durchsetzt, ist zwar offen. Daß es nicht die »Strömung« sein wird, gilt ihren eigenen Anhängern jedoch bereits als sicher.
Eine »Spaltung«, wie sie Zotl vor einigen Wochen als reale Gefahr beschworen hatte, erwartet niemand. Eher schon einen langsamen Rückzug der Reformer — und einen schleichenden Niedergang der Partei. Hans-Martin Tillack
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