Ist die Sprache der Stasi immer »falsch«?

■ Stasi-Täter und -Opfer auf der Suche nach dem Dialog im Haus am Checkpoint Charlie/ Hauptkommandant redet über den Schießbefehl/ Wut im Publikum/ Hildebrandt: Bei dem Täterheer müsse man den wenigen, die sprechen, entgegenkommen

Kreuzberg. Im Haus am Checkpoint Charlie sitzen ab und zu die Stasi und andere hochrangige Vertreter der Nomenklatura, die die Repression organisierten und jetzt versuchen, sich und ihren Opfern Rechenschaft darüber abzulegen. Es sind schwierige Gespräche, die von Rainer Hildebrandt, Leiter des Museums für Fluchtgeschichten und der Arbeitsgemeinschaft 13. August, initiiert worden sind. Am vergangenen Dienstag fand das fünfte dieser Art statt, weitere sollen folgen.

Zum ersten Mal sitzt Oberstleutnant Horst Wittke, 58 Jahre, bei diesen »Täter-Opfer«-Gesprächen mit am Tisch. 30 Jahre lang war er in der berüchtigten Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) tätig, der Abteilung die unter Führung von Markus Wolf die alte BRD ausspionierte. Zum Schluß war er gar Hauptkommandant und damit zuständig für die »innere Sicherheit des Hauses«. Das »berufsrevolutionäre« Engagement für die DDR erklärt er mit seiner gewerkschaftlichen und kommunistischen Familientradition. Nicht der Nachrichtendienst »wäre an den Baum gefahren«, sondern die Politik, und deshalb habe er die Auflösung der Abteilung betrieben, »um sauber aus dem Rennen« zu kommen. »Sauber« gewesen zu sein und »sauber« zu bleiben, sind Wittkes immer wiederholte Statements. Als Kronzeugen dafür zitiert er seine ehemaligen Kontrahenten vom CIA — Agenten mit denen er heute »Tee trinkt«. Und er sagt auch, was der BND bis heute bestreitet, nämlich, daß viele seiner Kollegen inzwischen im Sold des bundesrepublikanischen Geheimdienstes ständen. »Logisch« meint er, denn »im Geheimdienst wurden keine Lumpen eingestellt« — auch Agenten haben eine Berufsehre. Das Publikum, vor allem die Vertreter der »Opfer des Stalinismus« und der Bürgerrechtsbewegung rutschen immer unruhiger auf ihren Stühlen herum. »Sauber«, sagt ausgerechnet ein anderer Täter, der in der Hauptabteilung II gearbeitet hatte, sei niemand gewesen. Er habe viele »Lumpen« auf den Gängen des Geheimdienstes getroffen, diese Tätigkeit »sei immer irgendwie dreckige Arbeit« gewesen, denn die Arroganz habe zu Deformationen geführt, belohnt durch Privilegien.

Offener Protest bricht los, als Wittke, der sein sozialistisches Engagement wenige Minuten zuvor in dürren Worten mit den Lehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verteidigt hatte, über die Todesschüsse an der Mauer spricht. »An jeder Grenze wird geschossen«, meint er und vergleicht die Mauer mit dem Zaun zwischen den USA und Mexiko. Scheinbar naiv fragt er, warum denn überhaupt »Grenzverletzer« sich in das militärische Sperrgebiet begeben haben, obwohl sie doch wußten, daß es »selbstmörderisch« war. Karin Gueffroy, die bis dahin Wittke konzentriert zugehört hat, zuckt zusammen.

Mit tränenerstickter Stimme kontert ein Ex-DDR-Grenzer Wittkes Auslassungen. Vor zehn Jahren sei er geflüchtet, weil er den Schießbefehl verweigert habe, sagt er. Seine ehemaligen Kameraden hätten ihn als »Verbrecher, Schwein und Feigling« beschimpft. Es sei lächerlich, daß die jetzt im Gueffroy-Prozeß angeklagten Vollstrecker des Schießbefehls nun als »kleine hilflose Mauerschützen« hingestellt würden. Viele seien »gierig«, seien »geil« darauf gewesen, andere abzuknallen. Erbittert berichtet der ehemalige Soldat, daß er nach seiner Flucht, aufgrund der Arbeit an der Grenze, in West-Berlin keinen Job mehr bekommen habe. »Und jetzt beklagen sich die Stasi- und NVA-Oberen, daß sie heute arm dran sind und nicht mal einen Job bei der Stadtreinigung bekommen würden.«

Es bereitet Rainer Hildebrandt Mühe, immer wieder die Emotionen zu besänftigen. Es gehe nicht um Schuldzuweisungen, sagt er, sondern im Dialog um die Suche nach der Wahrheit. Hunderttausend hätten zum Heer der Täter gehört, man solle den wenigen, die den Mut fänden zu sprechen, entgegenkommen. Das sei richtig, meinen die Regisseurin Freya Klier und der Schriftsteller Sigmar Faust, beide Opfer der DDR- Repression, und dennoch sei dies unmöglich — zumal Menschen wie Wittke eine bürokratische Sprache sprächen, die nichts mit den Menschen zu tun habe. »Aus falscher Sprache folgt falsches Denken und daraus falsches Handeln«, sagt Faust und das klingt, nach all diesen Fragen nach der Wahrheit, merkwürdig therapeutisch. aku