: Scherbenhaufen oder heilsame Krise?
■ Auf der Tagesordnung standen am Mittwoch in Berlin Sanierungskonzepte für die taz. Zum Eklat kam es aber schon vorher, als die Vereinsmehrheit die Suche nach Kapitalgebern ablehnte. Die Redaktion...
Scherbenhaufen oder heilsame Krise? Auf der Tagesordnung standen am Mittwoch in Berlin Sanierungskonzepte für die taz. Zum Eklat kam es aber schon vorher, als die Vereinsmehrheit die Suche nach Kapitalgebern ablehnte. Die Redaktion verließ fast geschlossen die Veranstaltung — und organisierte sich.
Am Vorabend zum Tag der Deutschen Einheit, als die Deutsche Presse-Agentur gegen 22 Uhr einen „Eklat auf dem Krisenplenum“ der 'tageszeitung‘ meldet, sagt Willy Brandt in den Tagesthemen: „Es wird ja über kurz oder lang eine wirtschaftlich stärkere Bundesrepublik herausgekommen.“ Sein Wort, seine Hoffnung in der tazlerInnen Ohren! Wer von ihnen jetzt noch daran glaubt, über kurz oder lang eine wirtschaftlich stärkere Zeitung errichten zu können, hat zumindest seine guten Nerven noch nicht verloren.
Der Eklat der taz vollzieht sich kurz, schmerzlos und ohne quälend- lange Diskussionen im Berliner „Haus der Kulturen“, der ehemaligen Kongreßhalle in Tiergarten, am Ufer der Spree. Am Mittwoch nachmittag — es ist bereits der zweite Sitzungstag der für alle taz-Belange maßgeblichen Mitgliederversammlung des „Vereins der Freunde der alternativen Tageszeitung“ — stellt Vorstandsmitglied Michael Mussotter im Namen der nichtredaktionellen Abteilungen einen Antrag, der mit zwei Sätzen eine der großen Streitfragen entscheiden soll, die die taz-Gremien in den vergangenen Jahren plagten: Soll die taz größere Kapitalsummen in das Unternehmen holen, um den Durchbruch zur 100.000er-Auflage zu schaffen? Soll sie einen Investor in den Bauch der Zeitung lassen? Soll sie das bislang von einem Mitarbeiterverein verwaltete Eigentum der Zeitung in eine Unternehmensholding einbringen, um die ökonomischen Zwänge zu bewältigen?
Auf diese Frage, über die taz-MitarbeiterInnen während der vergangenen Tage zwischen Kantinenfoyer und Penthouse-Bar in der Kochstraße in kleinen Grüppchen unermüdlich kungelten, gibt der Antrag der Mitarbeiter aus den technischen und Verlagsbereichen klare Antwort: Alles Eigentum bleibt beim Verein, lautet seine Forderung, und alle Selbstverwaltungsstrukturen bleiben „im Prinzip“ beibehalten. An der Position gibt es nichts zu deuteln. Ihre Annahme würde bedeuten, daß die bisherige Suche nach Kapitalgebern, vom bisherigen Vereinsvorstand mit dem Auftrag des Plenums initiiert, eingestellt werden muß.
Was ist wichtiger: Zeitung oder Projekt?
„Ich arbeite für die taz“, formuliert Petra, deren Amtszeit im Vorstand heute abläuft, „nicht wegen der Selbstverwaltung, sondern weil die taz die beste Zeitung ist.“ Sie will von Teilen der Selbstverwaltung Abschied nehmen, um die Zeitung als solche zu erhalten. Ohne wesentlich höhere Löhne (bisher: 1.550 DM netto) sieht sie keine Chance, das Abwandern der fähigsten Journalisten zu anderen Medien zu stoppen.
Doch die Mehrheit will nicht vom Eigentumsmonopol des Vereins abrücken. 80 zu 60 Stimmen. Die Entscheidung gleicht einem Fraktionsvotum. Geschlossen stimmen nahezu alle Mitglieder, die in den technischen und administrativen Abteilungen der Zeitung arbeiten, für den Verein als Alleineigentümer. Nur eine Handvoll Redaktionsmitglieder hat sich ihnen angeschlossen. Umgekehrt lehnen fast sämtliche JournalistInnen der taz (darunter auch der Autor) die schlichte Wahrung der taz-Gründerprinzipien ab.
Nach der Abstimmung beantragt die Redaktion eine Auszeit. Eine halbe Stunde lang debattiert sie in der Lobby, was jetzt zu tun ist. Sich trotzdem am neuen Vereinsvorstand beteiligen? Niemand will mitmachen nach dieser Entscheidung, die das von der Redaktion vertretene Sanierungskonzept von vornherein ausschließt.
Zurück im Plenum, erklärt Redaktionsleiter Andreas Rostek unter Anspielung auf die taz-Schlagzeile vom Tage (zum 1. Jahrestag der deutschen Vereinigung formuliert), „daß wir uns nun wie Fremdlinge im eigenen Hause fühlen“. Unter mißbilligenden Zurufen gibt er bekannt, daß die Redaktion geschlossen das Plenum verläßt, um sich erst einmal selbst zu organisieren. Man will sich drei Kilometer weiter im Kreuzberger taz-Gebäude treffen.
Kein Lachen und kein Weinen erfüllt den Sitzungssaal in den folgenden Minuten. Merkwürdige Ruhe herrscht. Nur bittere Gesichter begegnen sich, als die Trennung vollzogen wird. Wohl nie zuvor war der Bruch in der taz gerade an der Stelle so deutlich, wo ihn jede Betriebswirtin vermuten würde: nämlich zwischen denen, die die Zeitung schreiben, und denen, die sie produzieren und vertreiben.
Unter dem Druck von Entlassungen
Obwohl seit Beginn der taz vorhanden, brachen diese Fronten selbst in Kampfabstimmungen der Vergangenheit nicht völlig auseinander — auch weil die Entschlüsse bisher die Existenz der Betroffenen nicht berührten. Das ist an diesem Mittwoch anders. Man entscheidet unter dem Druck bevorstehender Entlassungen. Denn ob mit oder ohne Selbstverwaltung — zumindest in einem sind sich die Protagonisten aus Vorstand und Geschäftsführung einig: die taz wird sich in den kommenden Monaten von zahlreichen, möglicherweise einem Drittel ihrer Beschäftigten trennen müssen. Die scharfe Konkurrenz auf dem Berliner Zeitungsmarkt, das Absinken der taz-Auflage in den neuen Bundesländern und das unzureichende Anzeigenwachstum machen einschneidende Sanierungsmaßnahmen in der Zeitung unumgänglich. Für sie gibt das Plenum, nach dem Auszug der Redaktion, noch am Mittwoch grünes Licht. Welch ein Paradox: Verlags- und Technikmitarbeiter, die jahrelang gegen die Redaktionsmehrheit zäh für den Einheitslohn gekämpft haben, schaffen ihn nach dem Auszug der Redaktion aus dem Plenum mit einem Federstrich und fast einstimmig ab. „Leistungslohn“ ist angesagt. Die Frage ist: Wer soll ihn bezahlen?
„Der Konflikt“, konstatiert Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch nach Abschluß der Debatten, „liegt nun zwischen Eigentümer und Redaktion.“ Der Verein als Eigentümer der Zeitung bleibt juristisch zweifellos handlungsfähig. Das Rumpfplenum wählt einen Vorstand. Ihm gehören Christiane Lux (Verlag), Michael Mussotter (Technik), Doris Benjack und Ralf Klever (beide EDV-Abteilung) sowie Klaus Wolschner an. Wolschner, Redakteur der Bremer taz-Ausgabe, kandidiert aber ausdrücklich nicht als Redaktionsvertreter, sondern für die beiden Regionalteile Hamburg und Bremen. Und der Vorstand bekommt den Auftrag zur Sanierung des Betriebes (siehe Dokumentation rechte Seite).
Offen ist, ob und wie sich die Redaktion beteiligt. Noch am Mittwoch abend wählen die 66 opponierenden JournalistInnen ein dreiköpfiges Vertrauensgremium aus ihren Reihen, das den Auftrag erhält, sich auch nach der Abstimmungsniederlage für die Schaffung einer vereinsunabhängigen Verlagsstruktur und Kapitalsuche einzusetzen (siehe Dokumentation rechte Seite). Zum Streik für einen neuen Verlag können sich die scheinbar unermüdlichen Schreiberlinge nicht durchringen. „Unser Produkt“, formuliert Inlandsredakteur Götz Aly nur halb im Scherz, „liegt uns zu sehr am Herzen, als daß wir es einfach liegen lassen können.“
Sprachlosigkeit zwischen den Fraktionen
Die taz wird also weiter erscheinen; die LeserInnen womöglich gar nicht merken, vor welcher Zerreißprobe ihre Zeitung heute steht. Vielleicht ist es kein Zufall und zeugt von der Sprachlosigkeit zwischen den Mitarbeiterfraktionen in der taz, daß ausgerechnet zwei der wenigen betriebsexternen Mitglieder des taz- Vereins die Plenumsdebatten am schärfsten polarisierten: Christian Ströbele, der Rechtsanwalt, taz-Mitbegründer und Grünen-Politiker, bringt seine Redekünste für die „Bewahrung von Eigentums- und Selbstverwaltungsverhältnissen“ ein. Auf der Gegenseite hält Vera Gaserow, die vor kurzem ausgeschiedene Inlandsredakteurin, das deutlichste Plädoyer für die Zusammenarbeit mit fremden Geldgebern: „Wer“, fragt sie, „soll unter uns auch nur die psychologische Kraft zur Sanierung haben? Wer hat Lust, hier weiterzuarbeiten, wenn ein Drittel der Leute gehen muß? Nur wenn über die Sanierung hinaus eine neue Wachstumsperspektive schon jetzt eröffnet wird, werden die Mitarbeiter der taz nicht weglaufen.“ Georg Blume
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