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Schlechter als die Wirklichkeit

■ Satie auf der Volkshochschulbühne

Es ist wahrhaftig nicht einfach, Satie zu versauen. Erik Satie: dieser komische Heilige. Dieser unverwüstlich kaputte Typ mit seinen endlosen musikalischen Miniaturen, die stets daneben treffen oder vielmehr ins Tiefschwarze. Der sich selbst einen mittelalterlichen Magier nannte oder, treffender noch, einen modernen »Fälschungsingenieur, für jeden Geschmack, besser als die Wirklichkeit«. Satie, Urgroßvater der Avantgarde: Er als einziger schien gefeit gegen den Verschleiß eines Kulturbetriebes, der durch beharrliche Huldigung noch jede geniale Idee zu Tode geritten und jedem Vampir die Zähne gezogen hat.

Jetzt ist es doch passiert. Gut zwei Stunden Satie sind, was niemand für möglich gehalten hätte, zu einer zähen Ewigkeit gähnender Langeweile geworden. Was, wie gesagt, gewiß nicht einfach war — und wozu man, wie verlautet, auch keine Mühe gescheut, ja in letzter Sekunde soagr noch den Regisseur ausgewechselt hat. Und das ging so: Die Volksbühne Ost hat am Vorabend des neuen deutschen Nationalfeiertages zwei schöne Satie-Stücke zur Premiere gebracht — le piège de Méduse (Die Falle des Qualle) sowie Sokrates. Ersteres deklariert als Erstaufführung (nur in der Schweiz und in Österreich hat's das Stück auf deutsch schon mal gegeben), letzteres ein sogenannt symphonisches Drama, das zwar selten genug, aber doch auch in Berlin zu hören gewesen (das letzte Mal beim »Nonstop Satie-Festival« vor sieben Jahren im Hebbel-Theater West). Eine Woche vor der Premiere freilich wandte sich der abgesetzte Regisseur Jürgen Seidler in einem offenen Brief warnend an die Presse, um erstens seine Entlassung, zweitens die von der Intendanz behinderte künstlerische Arbeit am Projekt sowie drittens zu beklagen, daß das Ergebnis der Querelen nur eine »Beschädigung Saties« zeitigen könne.

Wie schrecklich recht er doch behalten hat! Eine Beschädigung? Ach was, diese Volksbühnenproduktion ist geradezu eine Vernichtung Saties, eine Volkshochschulfeier des Mittelmaßes — um Längen schlechter als die Wirklichkeit. Satie auf die Säule gehoben und dann so gründlich bearbeitet, bebildert und mit hochtrabendem Tiefsinn befrachtet, daß nach nur wenigen Minuten außer der Säule nichts mehr übrig ist. Der Gerechtigkeit halber muß dazu gesagt werden, daß ein derartiges Ausmaß an Stuß nicht erst eine Woche vor der Premiere ersonnen sein kann und daß aus dem offenen Briefe des Herrn Seidler, wie das mit offenen Briefen so zu sein pflegt, nicht hervorgeht, was denn eigentlich der Kern der künstlerischen Auseinandersetzung an der Volksbühne gewesen war. So daß es durchaus denkbar ist, daß auch ohne Westentaschenskandal das gleiche herausgekommen wäre.

Zur Sache. Die Falle des Qualle ist eine Gesellschaftskomödie mit Musik für vier Personen und einen ausgestopften Affen. Musik kommt nur vor, wenn der Affe tanzt — im übrigen sind die Dada-Dialoge, in die der Baron Qualle sowohl sich wie auch seinen Diener, seine Tochter und seinen künftigen Schwiegersohn verwickelt, Musik genug. Die Handlung ist nicht nacherzählbar, also gibt es keine Handlung. Auch hat das Stück weder einen Sinn noch einen Schluß. Abgesehen natürlich von dem blühenden Sinn, der in den funkelnden Wortgefechten selbst liegt und davon, daß es irgendwann irgendwie aufhört. Der Titel schließlich ist Titel, nichts weiter: denn die Falle des Qualle besteht nur darin, daß der Baron in Szene fünf beschließt, eine Falle zu stellen: »eine plumpe Falle... Das sind die besten, die plumpen Fallen.« Ob er sie dann stellt oder nicht, und wenn ja, wie — das ist schwer zu sagen, jedenfalls, solange man nicht sicher weiß, was ein Qualle eigentlich unter einer Falle versteht. Satie jedenfalls begnügt sich mit sparsamen Vortragsbezeichnungen wie »Sie umarmen den Affen« oder auch »Lachen Sie, ohne daß man es merkt«.

An der Volksbühne merkt man sofort beim ersten Auftritt Qualles: hier darf gelacht werden. Spaß muß sein. Aber bittesehr nur bei dieser (Kunstpause) Pointe, denn der nächste Satz (große Geste) ist bereits Kunst von höchstem Avantgardeanspruch und (Kratzfuß) größter Künstlichkeit. Gewichtig stelzen die Worte, schwer tropfen die Silben, tief, ganz tief unten hängt der Bildungsbürgerarsch. Das Bühnenbild und die Kostüme klotzen dazu Kubismus, Bruitismus, Strukturalismus und sämtliche andere einschlägigen -ismen. Man hat, kurz gesagt, versucht, dem Volke den Satie didaktisch zu »vermitteln«. Man muß aber auch geahnt haben, daß es bei dieser Lektion nichts zu lachen hat — und so brechen ersatzweise die Mimen selbst immer mal wieder in krampfhaftes Gelächter aus. Noch viel, viel peinlicher aber wird's, als nicht mehr darüber hinwegzusehen ist, daß dem Stück in dieser postrealsozialistischen Inszenierung auf Teufel komm raus, durch rüde Streichungen und Zusätze, ein Sinn, eine klassische Klimax und sogar ein Schluß angemessen wurde. Ordnung muß sein. Wenn schon sonst nirgends mehr, dann wenigstens noch im Theater.

Was schließlich die Verhinzung und Verkunzung des Sokrates anbelangt: jedes Wort der Kritik wäre da schon ein Wort zviel des Guten. Schweigen wir also. Und meiden Sie, die Sie's noch können, den Ort des Schreckens. Elisabeth Eleonore Bauer

Volksbühne, Rosa-Luxemburg- Platz, Sternfoyer. Nächste Vorstellungen heute, 22 Uhr und 14.10. 21 Uhr

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