piwik no script img

Mach uns den Jerry, Herbert!

■ Welturaufführung von Lawrence Romans »Könnt' ich, würd' ich, hätt' ich« im Theater am Kurfürstendamm

Ein New Yorker Kindermodenhersteller ist in der Midlife- Krise. Seine Frau verläßt ihn, er bandelt mit einer alten Liebe — einer Fotografin — an, um sie schließlich wegen seiner zurückgekehrten Ehefrau wieder zu verlassen. Bedauern, Freude, Happy-End.

Daß aus einer so windig-flachen Geschichte kein großes Unterhaltungstheater werden kann, erwartete man; aber was dann im Theater am Kurfürstendamm passierte, übertraf selbst die kühnsten Befürchtungen: Der Abend beginnt mit der Einspielung von farbigen Bildchen auf eigens dafür installierten Monitoren (gucke die, gucke da: Multimedia!) und der dazugehörenden Musikberieselung aus der Retorte. Das postmodern-futuristisch gestylte erste Bühnenbild von Pit Fischer zeigt, wovon aufstrebende Maurergesellen nächtens träumen (denn Amerika ist ja sooo modern!). In diese heile Welt schlurft dann Jerry Packer (Herbert Bötticher) und hält Monologe — gespickt mit banalen Dämlichkeiten aller Art — über seine Midlife-Krise, die man ihm im realen Leben bestimmt eher abkaufen würde. Leider nuschelt er bei diesen Wortschwällen derart, daß man sich an eine Unterkieferlähmung erinnert fühlt. Manchmal versucht er auch ein Witzchen, so z.B. wenn er einen Blutdruckmesser anlegt (das Publikum schüttet sich aus vor Lachen) und er dann sagt: »So'n Druck hat nich mal 'n Feuerwehrschlauch« (das Publikum ist kaum noch zu bändigen). An anderer Stelle gefriert dann sogar hartgesottenen Dauerbesuchern dieses Hauses das Lachen im Halse, nämlich wenn Bötticher uns mitteilt: »In diesem Anzug sehe ich ja so alt aus wie ich bin.« Ha, ha. Stille. Mensch, er hat recht. Traurig, traurig.

Doch dann tritt in Gestalt von Ingeborg Schöner Jerrys Ehefrau ins Rampenlicht und wirkt bis zum Schluß so, als würde sie diese Rolle gerade zum Vorsprechen an einer privaten Schauspielschule lernen. Als nächster Stichwortgeber tritt Gerd Seid als Jerrys Anwalt auf; offenbar steht diese Funktion auch in seinem Vertrag — so muß er sich gar nicht erst den Mühen der Schauspielerei unterziehen.

Zwischendurch wird eifrig telefoniert; dazu werden auf einer Diawand potentielle Gesprächspartner eingeblendet (Wahnsinnsidee), wozu man das Archivmaterial der ehemaligen Schauspieler des Hauses geplündert hat. Einige Fotos müssen wohl aus der Zeit des Mauerbaus stammen.

Es folgt die erste Drehung der Drehbühne (einfach toll); dazu zeigt man uns auf der Diawand Probenfotos, die besser nie das Licht der Welt erblickt hätten, gekoppelt mit heiterem Schrumm-schrumm aus der Klamottenkiste. Schwupp — da ist es: das zweite Bühnebild. Ein Sammelsurium scheußlicher Geschmacklosigkeiten, die alle nicht zusammenpassen — und im Hintergrund die aktuellen Modefarben aus der Neuen Welt. Es ist die Wohnung von Jenny Shore (Doris Gallert), Jerrys alter Liebe, die bisher nur mit rauchiger Stimme in die Muschel hauchen durfte, um Frühlingsgefühle zu erwecken. Doch Jerry leidet an Traumvisionen, die besser auch solche geblieben wären; denn die Peinlichkeiten, die dort vorgestellt werde, lassen einen Abend mit Wim Thoelke zum Genuß werden. Immerhin darf Uwe Hacker als überlebensgroße Cremetube auftreten, was ihm einen Platz als Jerrys Bruder beim Happy-End sichert. Auch Pop (Papp), gespielt von Achim Petry, sagt — als Jerrys Schwiegervater — artig seine Sätzchen auf und darf auch bis zum Ende mitspielen. Doch das kommt erst, nachdem gezeigt wurde, wie man mit brauner Schminke einen Bimbo bastelt und nachdem Doris Gallert noch als Chaplin dilettierte.

Daß selbst die durch Seifenopern und Junk-food geschädigten Amerikaner dieses Stück nicht uraufführen wollten, verzeiht man ihnen in Anbetracht des Berliner Ergebnisses nur ungern. Denn gehen die Frisuren von Udo Walz noch als Belanglosigkeit durch, ist Herbert Böttichers Regie ein künstlerisches Blackout.

Das Premierenpublikum goutierte zähneknirschend, aber erstaunlich wohlwollend diesen Abend; die Nervenschwachen hatten die Pause zur Flucht benutzt. York Reich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen