»Mit 18 hol' ich mir sowieso 'ne Knarre«

■ Die Clay-Oberschule veranstaltet einen Projekttag zum Thema Gewalt/ Mit Polizei, Sozialarbeit und Spielpädagogik sollte gegen Gewaltbereitschaft angegangen werden/ Die Kids sind angeödet und bezweifeln den Sinn ihres Projekttages

Rudow. »Was soll ich denn machen, wenn mir ein Deutscher auf der Straße entgegenkommt, seine Schulter nicht zurückzieht und mich dabei noch blöde anmacht? Soll ich mir das gefallen lassen?« fragt der 14jährige Mejdi und liefert die Antwort gleich mit: Natürlich nicht. »Der entschuldigt sich doch erst, wenn ich meine Freunde hole.« Mejdis Klassenkameraden stimmen ihm zu. Streetworker Detlev Kumlehn, als Referent in die neunte Klasse eingeladen, schlägt vor, in einer solchen Situation einfach vorher etwas beiseite zu gehen. Das kommt für die Kids nicht in Frage.

Zuvor hat ein Mitglied der »Polizei AG Gruppengewalt« Mejdi gesagt, er solle, wenn er bedroht werde, einfach feige sein und weglaufen. Das sei auf jeden Fall besser, als ein Messer zu ziehen und selbst zum Täter zu werden. Davon hält Mejdi noch weniger: »Wenn das meine Leute erfahren, fliege ich doch aus meiner Gang raus«. Auch der Streetworker Kumlehn lehnt das ab. »Jugendgangs bilden auch eine wichtige Solidargemeinschaft unter den Kids.« Außerdem müsse man sich nicht alles gefallen lassen. »Die sollen sich erst einmal einig werden, dann können sie mir sagen, was ich tun soll«, meint Mejdi dazu. Solange bleibt er bei seiner bewährten Methode. Während eines Projekttages gestern in der Clay-Gesamtschule im Neuköllner Süden zum Thema Gewalt in seiner gesamten Komplexität sollten Antworten auf eben solche Fragen gefunden werden — gewaltfreie Antworten. »Wir wollen, daß die Schüler intensiver darüber nachdenken, wie sich Gewalt verhindern läßt«, beschreibt Direktor Schikorr Sinn und Zweck des Projekttages an seiner Schule. In verschiedenen Arbeitsgruppen oder in Klassen sollten sich die Schüler mit Gewalt in ihren unterschiedlichen Formen auseinandersetzen. Organsiert wurde das Projekt von den Lehrern, die Schüler konnten nicht mitplanen. Polizei, Sozialarbeiter und -pädagogen leisteten Hilfestellung. Schon Bagatellen reichten aus, die Schwelle zur Gewaltanwendung zu erreichen. Magisches Reizwort: »Hurensohn«.

In einer anderen neunten Klasse sollten die Schüler und Schülerinnen »Gegenstände mitbringen, die sie mit Gewalt verbinden«. Großen Jubel löste die Erlaubnis aus, die eigenen Waffen in der Schule vorführen zu dürfen. Im Rollenspiel waren die Messer, Tschakos, Rauchpistolen und Gasrevolver der Kern fiktiver Szenen, anhand derer dann die Rolle der Waffen in einer Auseinandersetzung reflektiert werden sollte. Vier Schüler denken sich eine typische, aus dem Leben gegriffene Eifersuchtsszene aus: Ein Junge trifft auf der Straße seine Freundin im Arm eines anderen: »Du Schwein, gehst mit meiner Freundin fremd!« Ohne weiteres schießt er den Typen nieder. Regie führt an diesem Tag in der Klasse die Direktorin des Jugendzirkus »Jux«, Conny Fischer. Das Wort Gewalt gefällt ihr überhaupt nicht, es soll auch nicht gebraucht werden, jedenfalls nicht, um abzuwerten. »Gewalt bedeutet doch eigentlich, daß man nicht mehr weiterweiß.«

Den Kids selbst scheint das Ganze wenig zu bringen. In der Mittagspause holen sie sich erst einmal ein Bier vom Penny-Markt: der ganze Tag ist genauso langweilig wie die Schule sonst auch, ist das einstimmige Votum. Der 15jährige Marco ist überzeugt: »Gewalt hat es immer geben und wird es auch weiterhin geben.« Christoph, 17, stimmt zu: »Ich weiß nur eins. Sobald sich 18 bin, hol' ich mir 'ne Knarre.« Thekla Dannenberg