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Der Kauf von französischem Käse wird in Japan zur nationalen Pflicht

■ Handelsbilanz sprengt mit 70-Milliarden-Dollar-Überschuß Rekorde/ „Monat der Importförderung“

Tokio (dpa/taz) — Den Oktober hat die japanische Regierung zum „Monat der Importförderung“ ernannt. Politiker und Unternehmer haben öffentlich den Kauf von italienischen Ledertaschen oder französischem Käse zur nationalen Pflicht erhoben. Nie seit ihrer Einführung vor acht Jahren war die herbstliche Importkampagne so notwendig wie 1991.

Nach vier Jahren beständig sinkender Exportüberschüsse sprengt die Handelsbilanz in diesem Jahr mit einem Rekordplus von voraussichtlich 70 Milliarden Dollar (rd. 118 Mrd DM) alle Rekorde: das sind fast 20 Milliarden Dollar mehr als 1990.

Die anderen Industrienationen müssen feststellen, daß alle Versuche, Japans einseitigen Handel mit einer Aufwertung des Yen oder allerlei Abkommen zu zügeln, fürs erste gescheitert sind. Im August meldete Tokio einen Überschuß von 8,24 Milliarden Dollar, nachdem er im gleichen Monat des Vorjahres noch bei 4,06 Milliarden gelegen hatte. Die Exporte stiegen um 10,3 Prozent auf 24,2 Milliarden Dollar (August 1990: 21,5 Milliarden). Die Importe fielen von 17,9 auf knapp 16 Milliarden. Die Europäische Gemeinschaft lieferte 17,6 Prozent weniger nach Japan, doch der japanische Warenstrom in die EG schwoll um 3,1 Prozent.

Tokio führt den Zuwachs auf den „deutschen Faktor“ zurück — die nach der Vereinigung angestiegene Nachfrage in den neuen Bundesländern.

Die Regierung, seit Jahren im Handelsstreit mit den USA, fürchtet nun auch aus Europa und Asien schärfere Forderungen nach einem Abbau der Ungleichgewichte. Experten wie Paul Summerville vom Börsenhaus Jardine Fleming erwarten ein frostigeres Klima im Welthandel: „Das sind die Zahlen, auf die nun jeder schauen wird. Da werden die politischen Fetzen fliegen.“

Ein erneutes Einpendeln von Import und Export ist nicht in Sicht. Vor allem die Europäer haben in den letzten Jahren von dem durch niedrige Zinsen ausgelösten Konsumrausch in Japan profitiert. Frankreich konnte dank der japanischen Begeisterung für Spitzenwerke der impressionistischen Kunst seine Handelsbilanz verbessern. BMW, Daimler-Benz und Volkswagen-Audi verkauften 1990 so viele Autos wie noch nie. Doch höhere Zinsen, rapide gesunkene Aktienkurse und die Flaute auf dem überteuerten Immobilienmarkt haben Japans Lust auf importierten Luxus merklich gebremst.

Unter der Kaufzurückhaltung im eigenen Land leiden aber auch die japanischen Hersteller von Konsumgütern. Der Absatz von Autos ist seit Monaten rückläufig, und auch der Einzelhandel beklagt ein Ende der goldenen Jahre. Doch was in Japan nicht zu verkaufen ist, versuchen Nippons Unternehmen auf den Weltmärkten unterzubringen.

Gleichzeitig strengt sich die Japan AG an, selbst zu ihrem größten Importeur zu werden. Der erfolgreichste amerikanische Autohersteller in Nippon ist mittlerweile die US- Tochter von Honda. Nissan startet im Oktober den Verkauf von Kompaktautos, die in Großbritannien gefertigt werden. Elektrische Hausgeräte kommen immer häufiger aus japanischen Niederlassungen in Singapur oder Malaysia. Auf diese Weise fällt die Handelsbilanz günstiger aus und kommt gleichzeitig der japanischen Industrie zugute. Mit enormen Investitionen in aller Welt, so Kenneth S. Courtis, Analyst der Deutschen Bank in Tokio, „betreibt Japan eine Wiederverwertung seines Überschusses in der Leistungsbilanz“.

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